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Fakten zur Aufführung 

FAUST-BAL
(Leonardo Balada)
15. Februar 2009
(Uraufführung: 13. Februar 2009)

Teatro Real Madrid


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Faust für das nächste Jahrtausend

Geht es nach dem Komponisten Leonardo Balada und dem Schriftsteller Fernando Arrabal, ist Faust ab sofort weiblich. Die in Madrid am Teatro Real uraufgeführte Oper Faust-bal feiert den Mythos des Weiblichen als Grundlage einer anderen, neuen Zivilisation.

Das Opernlibretto von Arrabal ist ganz typisch arraballesk: fantasievoll, parodistisch, gewalttätig, grausam und absurd, doch realistisch pessimistisch in der Diagnose und voll mit Anspielungen auf die Schrecken der Gegenwart. Der Hang zur auch politischer Provokation ist dem Altmeister des absurden Theaters noch immer nicht vergangen und er schreibt weiterhin lustvoll seinem teatro pánico, in der surrealistischen, dadaistischen und nicht zuletzt pataphysischen Tradition Alfred Jarrys. Faust-bal ist schon im Namen durch und durch ein Geschöpf der Urheber Arra-bal und Bal-ada. Selbstbewusst und ironisch setzen sie sich an die Spitze der langen Faust-Tradition (die letzte von knapp 100 Faust Opern stammt von Pascal Dusapin: Faustus. The Last Night, Staatsoper Unter der Linden, Berlin 2006).

Faust-bal ist eine surrealistische Allegorie auf das Gute und das Böse: Faust, so Arrabal, könne heute nur weiblich sein, weil das männliche Streben zu nichts außer Desastern geführt habe, das Machtstreben mit seinen häßlichen Auswüchsen von Machismo, Krieg, Terror und Naturzerstörung müsse vielmehr durch eine weibliche Intelligenz und Sensibilität transzendiert werden. Faust-bal ist eine moderne Frau, selbstbewusst und intelligent, die nur eines will: gut sein ohne Kompromisse. Sie, „die letzte Hoffnung der Menschheit“, durchschaut und verabscheut den männlichen Machtwahn und die aus ihm resultierende zerstörerische Gewalt und begeht lieber Selbstmord, als sich in die unzulängliche Welt zu integrieren. Auf keinen Fall will sie sich mit Margarito (vormals Gretchen - ein symmetrischer Geschlechtertausch), der ihr nachstellt, einlassen. Margarito ist das Symbol für alles Maskuline, für das ewig Männliche: primitiv, militärisch organisiert und gewaltverherrlichend, macht- und besitzgeil und destruktiv. Doch ihr Selbstmord misslingt, da sie mit Hilfe von Margaritos High-Tech-Medizin wieder zum Leben erweckt wird. Faust-bal findet ihre emotionale Erfüllung in einer Liebesbeziehung zu einer kämpferischen Amazone. Durch Klonen entsteht aus dieser Beziehung ein Kind, womit die heile weibliche Welt ganz autonom wäre, was wiederum das wahrscheinlich männliche Rechtssystem nicht zulässt. Ein Richter verurteilt Faust-bal und sie kommt ins Gefängnis, aus dem sie mit Gottes Hilfe jedoch bald wieder freikommt. Das Stück endet nach allen Dualismen von Gut und Böse, Gott und Mefistófeles, Mann und Frau im finalen Zweikampf von Faust-bal und Margarito, bei dem Faust-bal durch Selbstaufgabe und Margarito durch das Amazonenheer stirbt. Die Story klingt ziemlich wüst, doch kann man bei Arrabal ja nie so recht wissen, wie buchstäblich ernst oder wie erhaben komisch es letztendlich gemeint ist.

Faust-bal ist die sechste Opernuraufführung am Teatro Real, nach Werken von Antón García Abril (Divinas Palabras, 1997), Cristóbal Halffter (El Quijote, 2000), Luis de Pablo (La Señorita Cristina, 2001), Hans Werner Henze (L’upupa und der Triumph der Sohnesliebe, 2004) und José María Sánchez Verdú (El viaje a Simorg, 2007). Die nächste ist schon in Arbeit: Die Madrider Sängerin und Komponistin Pilar Jurado verfügt bereits über einen Kompositionsauftrag für eine Uraufführung in 2010.

Der Komponist Leonardo Balada wurde 1933 in Barcelona geboren, studierte dort am Conservatorio del Liceu, wechselte dann 1956 an die New Yorker Juilliard School. Er studierte Komposition bei Vincent Percichetti und Aaron Copland und Dirigieren bei Igor Markevitch. Balada ist seit 1970 Professor für Komposition an der Carnegie Mellon University in Pittsburgh. Er komponiert im Stil der gemäßigten amerikanischen Moderne, steht in der Tradition von Charles Ives und Aaron Copland. Sein Kennzeichen ist ein elaborierter und hintergründiger Eklektizismus. Balada synthetisiert virtuos moderne Avantgardetechniken mit Reminiszenzen an die populäre spanische und afroamerikanische Musiktradition (Sardanas, Jotas, Paso dobles, Canciones populares, Spirituals), lässt Altes und Neues, Tonales und Atonales in einem Personalstil zusammenfließen. Seine Werke wurden von bedeutenden Dirigenten aufgeführt, darunter Rafael Frühbeck de Burgos, Mariss Jansons, Jesús López-Cobos, Neville Marriner, Lorin Maazel oder Mstislaw Rostropowitsch. Leonardo Balada ist in Deutschland bislang weitgehend vernachlässigt. 2002 gab es beim RSO Berlin unter Rafael Frühbeck de Burgos eine Uraufführung des zweiten Cellokonzertes. Sein Oeuvre ist u.a. beim Label Naxos gut auf Compact Disc dokumentiert.

Arrabal wie Balada sind tief vom spanischen Bürgerkrieg und der Franco-Diktatur geprägt, der sie beide durch Exil entkamen; Balada ging 1956 in die USA, Arrabal, 1932 in Mellila geboren, 1955 nach Paris. In vielen Werken wirken diese Ereignisse nach. Balada komponierte 1966 das Orchesterstück Guernica, Arrabal thematisierte Guernica gleich mehrfach. Baladas 6. Symphonie ist den Opfern des Bürgerkrieges gewidmet. Für beide ist Oper kein Neuland. Faust-bal ist Arrabals viertes Libretto und Baladas sechste Oper.

Das knapp 90-minütige Werk besteht aus zwei Teilen in 13 Szenen und kommt ohne Pause zur Aufführung. Die Inszenierung von Joan Font im Einheitsbühnenbild und in Kostümen von Joan Guillén nimmt die karikaturhafte, karnevaleske Tendenz des Stückes auf, bedient sich mittelalterlicher Totentänze, lässt es zwischen Barock und Comic spielen, verfügt aber auch über Elemente des deutschen Expressionismus im Stil von Fritz Lang, Murnau oder Dülberg. Die Brutalität des Librettos ist durch diesen Kunstgriff etwas herabgemildert, viele Handlungen sind stilisiert und wirken somit distanziert. Wirkungsvoll und virtuos ergänzt die Barceloneser Truppe Els Comediants als Bewegungselement die Mächte des Guten (Heerschar der Amazonen) und des Bösen (die Totenarmee von Margarito). Die vokale Besetzung ist so exzellent wie engagiert: María Rodríguez (Sopran) gestaltet die Rolle des weiblichen Faust souverän und bewegend, verteidigt hingebungsvoll den letzen Fetzen Hoffnung in der Welt. Eduardo Santamaría (Tenor) ist ein agiler Margarito, Cecilia Díaz eine außerordentlich präsente Amazone mit schönem, dunklem Mezzosopran, Fernando Latorre (Bariton) hat als Richter nur einen kurzen Auftritt. Da die Erde zugleich die Hölle ist, ist sie auch Spielwiese des intriganten Mefistófeles (schlangengleich und schillernd: Lauri Vasar). Gott befindet sich abgehoben und weitgehend unbeteiligt am Firmament (Stefano Palatchi). Nach dem „Tode Gottes“ und dem Ende der Ideologien ist er arbeitslos, zu wenig nütze und verbringt seine Zeit im Himmel mit zerstreuendem Zeitungslesen und einem Gläschen Wein.

Bei Jesús López Cobos, dem scheidenden Generalmusikdirektor des Teatro Real, ist die farbenreiche Partitur in den besten Händen. Die musikalische Faktur hat einen insgesamt sehr homogenen Charakter, trotz vieler heterogener Elemente, musikalischer Zitate und Anspielungen, scharfer Kontraste und Übertreibungen, zärtlicher und fast mystischer Stimmungen. Innerhalb des Oeuvres von Balada trägt es die Merkmale des Spätwerks, also die Verschmelzung atonaler Avantgardetechniken mit dem Lyrisch-Tonalen; die Integration folkloristischer Elemente tritt hingegen fast gänzlich in den Hintergrund. López Cobos arbeitet die Kontraste scharf heraus und gestaltet die heftigen Atmosphärenwechsel mit großer Transparenz. Coro y Orquesta Sinfónica de Madrid, verstärkt durch den Coro de Niños de la Comunidad de Madrid, engagieren sich ganz herausragend für das neue Werk. Das Madrider Publikum, konzentriert und gepackt, wusste den Abend sichtlich zu schätzen. Viel Beifall, keine Einwände.

Dirk Ufermann

Hier finden Sie Hörbeispiele zu dieser Produktion:

Hörbeispiel 1
Hörbeispiel 2
Hörbeispiel 3
Hörbeispiel 4