Verwirrung pur
Bruno Berger-Gorski inszeniert ein „Märchen-Spiel“ ohne jede gängige „Märchen-Moral“. Oder ergibt sich aus den permanent wechselnden Deutungsmustern eine neue Nachdenklichkeit in Sachen „Märchen“? Ein zeitgemäßes Kinderzimmer mit Stufenbett wechselt mit dem traditionellen Lebkuchenhaus; die Kinder sind zum einen aufmüpfige Kids, zum anderen konzentrierte Märchenbuch-Leser; sie agieren real, beamen sich aber in Traumwelten – mit ihren eigenen Puppen hantierend; die Mutter ist die Hexe – ein nachdenkenswerter Verweis auf die historische Diffamierung der „Hexen“ als magische Übeltäterinnen; die Schutzengel sind auch die verzauberten Kinder; die Natur wird repräsentiert zum einen durch abgestorbene Bäume, zum anderen durch poppige Pilze; Not und Armut werden symbolisiert durch den Korb mit Lebensmitteln und durch ein abschließendes Bild mit einem Lebkuchen. Dies alles schafft Verwirrung pur – versteckt eine durchgängige Idee im Tohuwabohu selbstverliebter Effekte.
Andererseits: Ist das nicht die irritierende Sicht auf kindliche Existenz zu Zeiten nicht definierbarer Grenzen zwischen bedrängender Realität und täuschender Virtualität – ohne akzeptierte Spiritualität?
Doch bleibt die Frage nach dem Zusammenhang mit dem „Mythos“ der so naiv-gläubigen Humperdinck-Vorlage. Und: Das Bühnenagieren erschöpft sich in karikierender Gestik!
Dirk Hofackers poppig bunte Bühne beeindruckt mit nahezu OP-artigen Elementen, verweist bei allem scheinbaren Realismus auf die Brüche im Bewusstsein, schafft in jeder Szene praktikable Spielräume – und steckt die Akteure in „märchenhaft“-reale Kostüme.
Musikalisch beschränkt sich Stefan Veselka mit dem klangschönen Limburgs Symfonie Orkest auf unauffällige Begleitung, verzichtet auf interpretierende Avancen, vermag aber auch nicht, dem spätromantischen Duktus Humperdincks den so typischen „volkstümlichen“ Klang zu geben.
Lustvoll agierend die Kinder: Karin Strobos und Kim Savelsbergh mit prima Intonation und frischer Phrasierung, überzeugend in der jederzeit interpretationssicheren Stimmgebung! Willem de Vries gibt dem Vater resolute Statur, vermittelt mit großer Konstanz baritonale Kompetenz. Mark Omvlee ist ein – ungewöhnlich – tenoraler Sand- und Taumann: stimmlich ausgeglichen, mit ansprechendem Timbre. Miranda van Cralingen – die „Prinzipalin“ der Opera Zuid, coming back from retirement – beeindruckt stimmlich als aggressive Mutter und rätselhafte Hexe: stimmlich souverän in der Spannbreite von melodischer Mittellage über gelungene Höhen bis zu „schrillen“ Exaltationen – darstellerisch allerdings mit stereotypen Gestikulieren vom Regisseur allein gelassen. Prima Auftritte hat der Kinder- und Jugendchor des Theaters Aachen!
Das Publikum im schönen Theater aan het Vrijthof in Maastricht ist sehr konzentriert, vermag aber den „roten Faden“ in der so heterogenen Inszenierung nicht zu finden, erfreut sich an szenischen Bildern und einprägsamer Musik – vor allem die vielen Kinder gucken mit großen Augen und offenen Ohren und können sich mit den elaborierten Charakteren nicht identifizieren. Schade, dass komplexe Ideen offensichtlich nicht den Weg in die unbefangenen Seelen des Publikums finden.
Franz R. Stuke
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