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Fakten zur Aufführung 

PELLEAS ET MELISANDE
(Claude Debussy)
9. März 2007 (Premiere)

Opera Royal de Wallonie Liège

Points of Honor                      

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Regie

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Realistisch-impressionistisch

Dreieinhalb Stunden changierende Bedeutungsmuster: das macht Philippe Sireuils Inszenierung an der Oper Lüttich aus. Erwartet man zu Beginn die Geschichte einer traumatisierten Frau, so findet man sich anschließend in die Dekadenz einer Familie versetzt, um anschließend einen Bruderzwist zu erleben; dann wird Melisande zur geheimnisvollen Auslöserin von Begierden, um damit überzuleiten zu einer Killer-Pathologie; es folgt der Blick auf Melisande als die „Menschheits-Seele“; aber am Schluss das Bild der allumgreifenden Versöhnung. Philippe Sirueil ist dem Irrtum aufgesessen, Maeterlincks symbolistisches Drama und Debussys impressionistische Musik als sex and crime–story zu erzählen.

Gleiches gilt für die Bühne von Didier Payen: Ein bühnenbeherrschender schräger Steg und bedrohlich eingefahrene Wände schaffen eine „impressive“ Atmosphäre, verstärkt durch Projektionen von kahlen Ästen und sogwirkenden Wellen. Aber dass die Akteure durch plätscherndes Wasser waten müssen, dass Melisande in der Turmszene minutenlang kopfüber am Trapez über die Bühne schaukelt – das ist der irritierende Einbruch kruden Realismus’ in eine phantasmagorische Welt. Weshalb dann der Eiserne Vorhang vor und nach den Szenen auf und ab geht, so als ob das Bühnengeschehen eine hermetisch abgeschlossene Welt zeigt, mit der wir im Theater nichts zu tun haben - das bleibt Geheimnis des Regieteams.

Auch Jorge Jaras brutal-naturalistischen Kostüme verstärken diesen ambivalenten Eindruck, allein Melisandes rosaroter Tutu mit übergeworfenen Mänteln lässt ein plausibles Konzept erkennen.

Das vorzügliche Sänger-Ensemble wird mit den gegebenen Bedingungen blendend fertig - auch was das lästige Wassertreten betrifft. Anne Pareuils Melisande verzichtet auf alle „aparten“ Klänge, bleibt permanent klar-hell intonierend; Jean-Francois Lapointe erlaubt sich als Pelleas nur in seiner finalen Szene stimmliche Exaltation; Marc Barrard als Golaud - der eigentliche „Held“ der Inszenierung – beeindruckt durch kraftvoll-männliche Attitüde; Antoine Garcin verleiht dem Arkel sonor-sedierenden Klang; Hanna Schaers Genevieve ist kontrolliert-kommentierend; und Elena Poesina gibt einen stimmlich variablen Yniold. Alle beherrschen das verfremdete Spiel und das distanzierende Singen perfekt.

Wegen der permanenten „Zwischenspiele“ kommt dem Orchester die wesentliche Aufgabe der Interpretation zu. Dem Orchestre de l’Opera Royal de Wallonie gelingt unter dem sensibel führenden Patrick Davin ein hörenswerter Debussy-Klang: angemessene tempi und abgestimmte Instrumente lassen die impressionistische Zauberwelt der Musik Debussys farbenreich erklingen.

Das durchaus internationale Publikum im traditionsreichen Lütticher Haus (Gretry!) folgt aufmerksam-gespannt; der Schlussapplaus ist respektvoll, aber nicht enthusiastisch - Resultat des ambivalenten Regie-Konzepts. (frs)