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Ein Märchen
Gesungen wird französisch, die - holprigen - Dialogtexte sind deutsch;
Gretrys Meisterwek kommt statt mit dem Originaltitel "Zemire et Azor"
mit dem modifizierten Musical-Titel daher. Diese Irritation durchzieht
Lübecks Präsentation: Der Hausherr Marc Adam inszeniert selbst, setzt
auf die Selbsterfüllung schöner Märchen, verzichtet auf den emotionalen
Zauber der Mythen. Märchentheoretische Figuren werden vorgeführt, von
deren Sehnsüchten, Ängsten, Einsamkeiten und Vertrauenskonflikten kaum
ein Hauch.
Michael Goden verweist mit seinen Bühnen-Folien auf das Renaissance-Theater
und den Cocteau-Film, vermag diese Ansätze aber nicht stimulierend umzusetzen.
Dass am Schluss die aufopferungsvolle Zemire ihren rückverwandelten Azor
als Fatzke im weißen Anzug erleben muss, scheint ein spontaner Regie-Einfall
zu sein; das Publikum reagiert entsprechend belustigt.
Frei von der Suche nach der Seele, nach der Macht der Gefühle, intoniert
im fast martialischen Einheitsklang das Philharmonische Orchester der
Hansestadt Lübeck unter Ludwig Pflanz.
Mit Lisa Tjalve ist eine superbe Stimme zu hören, die mit Aplomb die komplizierten
Koloraturen angeht, aber trotz der Klangreinheit die geheimen Sehnsüchte
der Zemire nicht vermittelt. Mit Roberto Gionfriddo singt ein unbeweglicher
Azor - das übrige Ensemble hat Mühe mit den sprühenden Vorgaben Gretrys;
zumal Thomas Burgers Ali verpasst die Chance einer brillanten Rolle!
Das Lübecker Publikum ist auf Zustimmung fixiert; und in der Tat: Gretrys
Musik und das zauberhafte Märchen ist nicht totzukriegen. Nach Dew/Pilz
in Bielefeld und Houston und der Akzeptanz in Lübeck sollte eine Renaissance
von Gretrys Ingenium anstehen (der Erfolgszug des Musicals - qualitativ
am Abgrund - bestätigt die Kompatibilität mit einem mainstream Geschmack).
(frs) |
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