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Fakten zur Aufführung 

RIGOLETTO
(Giuseppe Verdi)
2. November 2008
(Premiere: 24. Oktober 2008)

Theater Lübeck


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Fluchtweg - Weg ins Leben?

Wer und was ist dieser Rigoletto eigentlich? Ein bedauernswerter Hofnarr, zum ewigen Lachen verdammt, gleichzeitig zum permanenten Unterdrücken der eigenen Tränen? Fühlt er, der Krüppel, sich verfolgt und setzt auf Sicherheit – für sich und seine Tochter, die um alles geliebte Gilda? Jedenfalls schaut er daheim auf einen vierfach unterteilten riesigen Monitor: Treppenhäuser, Gänge, Türen - alles genau im Blick. Das ihm ja niemand an seine Gilda herankommt! Dabei ist die kein rohes Ei, sondern eine durchaus selbstbewusste, attraktive Frau, die man nicht vor „dem Leben da draußen“ zu bewahren hätte.

Regisseur Reto Nickler zeigt Rigoletto als einen, der klammert. Der ganz egoistisch über „seine“ Gilda bestimmt. Ihr Lebensraum ist einem goldenen Käfig gleich, in diesem soll sie für andere unantastbar sein. Erstaunlich wenig zimperlich zeigt sich Rigoletto im Hinblick auf andere junge Frauen, die sich in der coolen Partygesellschaft des Herzogs von Mantua tummeln. Da hat er nichts dagegen, wenn die Männer zur Sache gehen – was ihm den Fluch des Grafen Monterone einbringt. Von oben herab sozusagen, denn dazu steigt Monterone (stimmgewaltig und finster: Frank Blees) auf ein steinernes Postament und beklagt den ehrlosen Umgang mit seiner Tochter.

Just dieses Postament schwebt kurz darauf in immens vergrößerter Form dräuend vom Himmel auf Rigoletto herab. Und im letzten Akt liefert es perfider Weise das Podium für den Herzog und sein finales „La Donna e mobile“ – dem Lied voller Lebenslust, die er sich mit dem Tod Gildas erkauft hat. Der Fluch des Monterone - er lastet eine ganze Oper lang auf Rigoletto. Als man seine Tochter entführt, die den Herzog liebt, bewahrheiten sich die dunklen Ahnungen.

In Lübeck verdeutlichen Videoinstallationen, was sich in den Häusern abspielt: lange Treppenflure und Gänge, ab und an von Personen bevölkert, könnten zugleich aber auch Gedankengänge und Hirnwindungen sein. Insofern ist der Einsatz von Videoinstallationen (Momme Hinrichs und Torge Møller), der sonst schon mal in Langeweile abdriftet, in Lübeck gelungen – das gilt besonders für das Schlussduett. Rigoletto hat verloren, hat nicht begriffen, dass Gilda die Möglichkeit bekommen muss, ihr eigenes Leben in die Hand zu nehmen. Während er sie in einer Video-Sequenz als Tote sieht, strebt Gilda der Tür mit dem allseits bekannten weißen Piktogramm auf grünem Grund zu: „Fluchtweg“. Weg in ein neues Leben? Dem „Narren“ selbst bleibt nichts als Erinnerung an eine Tochter. Im Leichensack stößt Rigoletto deshalb auf – Videocassetten. Zum Abspielen daheim.

Nickler präsentiert ein geschlossenes, konzises Regiekonzept. Was jedoch den absoluten Gänsehauteffekt provozierte, war letztendlich die musikalische Umsetzung: Das galt erst einmal weniger für Dmitri Golovnin als Herzog von Mantua. Er hat ein Organ, mit dem sich mühelos ein Fußballstadion füllen ließe. Wenig Grundton, ganz viel Oberton – aber damit lässt sich schlecht Oper singen. Ob es um tobende Wutausbrüche geht oder um zarte Gefühle der Zuneigung: Golovnin produziert unterschiedslos ein ständiges Dauer-Forte, ohne irgend einen Ansatz von Schattierung oder Gestaltung.

Ganz anders die Gilda von Olga Peretyatko. Ihr Sopran erfüllt mit Leichtigkeit das Opernhaus, strahlt intensiv bedingungslose Liebe aus. Noch das zarteste Piano ist erfüllt von Ton. Wunderbare Augenblicke beschert sie ihrem Publikum im Finale. Eine elektrisierende Stimme!

Absolut eins mit seiner Rolle ist auch Rigoletto, wie Antonio Yang ihn ausgestaltet. Dieser Bariton ist ein Wunder an Kraft und Farbenreichtum. Voller Kern weiß er die feinsten Gefühlsveränderungen großartig auszudeuten. Yang schafft die völlige Identifikation mit der Figur des Rigoletto und liefert dazu noch eine Sternstunde des Gesangs – ganz große Opernmomente, die direkt unter die Haut gehen.

Auch der Sparafucile von Wilhelm Schwinghammer und Roswitha C. Müller in der Rolle der Maddalena runden mit feiner Leistung das Ensemble vorzüglich ab.

Das Lübecker Orchester unter Philippe Bach bringt Verdis ganze Dramatik zum Glühen, gerät mit Rigoletto in grummelnden, tiefen Hass und rasende Rachsucht, liebt mit Gildas zarter Seele und gibt sich leichtlebig wie der Herzog von Mantua.

Das Lübecker Publikum lauscht angespannt, folgt dem Geschehen auf der Bühne und spart nicht mit völlig berechtigten Applaus.

Christoph Schulte im Walde

 










Fotos: Thomas M. Jauk/Stage Picture