Fundus   Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links     Facebook     Partner von DuMont Reiseverlag  
     

Fakten zur Aufführung 

IL TURCO IN ITALIA
(Gioacchino Rossini)
7. November 2009 (Premiere)

Oper Leipzig


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Chat-Faktor


Rezensionen-Archiv

Aufführungen nach Name
Aufführungen nach Ort


 
 

zurück       Leserbrief

Die Übertitelungsmaschine!

Häufig abgetan als „B-Rossini“, verdammt als veraltetes „Türkenbild“, nicht ernst genommen als „historischer Opern-Klamauk“: In Leipzig wird das „Dramma buffo per musica“ von 1814 zum lustvollen Exempel für Peter Konwitschnys proklamierte „Zivilisationskritik“, wird zur subversiven Kritik an der abendländisch männlich geprägten Zivilisation – es geht um Liebe, die sich in dialektischem Ansatz nicht mit dem Opfer der Frau abfindet.

Michiel Dijkema entwickelt ein irritierendes Spiel zwischen dem Gatten, der Gattin, dem Liebhaber, dem neuen türkischen Liebhaber, dessen Harems-Dame und deren Liebhaber: Dies Durcheinander wird evoziert durch einen fiktiven Opern-Librettisten, der eine Oper im Geist der Zeit plant, mit den genre-üblichen Ingredienzien. Dijkemas Kniff ist: Die Personen entstehen aus sich selbst, fallen buchstäblich knallhart vom Himmel, entwickeln ihre eigene Geschichte, lassen dem Autor die Rolle des „verwertenden Texters“ - und karikieren sowohl Gender- als auch Nationen-Klischees mit spielerischer Delikatesse! Ein Theater-Coup genialen Wurfs ist allerdings, diese kritische Parodie auf die Mechanik der „Übertitelung“ zu fokussieren! Vor einem bläulich schimmernden Rundhorizont steht eine klassisch-plüschige Bühne - als Kulisse einer dahinter verborgenen „Übertitelungs-Maschine“, mit handgetriebener Mechanik, diversen Rollen, präsentierbaren Schriftbändern mit Texten in Serifen-Schrift im Stil früh-industrieller Technik, bewegt durch archaische Heloten-Figuren.

Ein genialer Einfall, technisch exzellent umgesetzt - ein „Bühnenbild“ von kommunikativer Intensität, unvergesslich!

Mit der macluhan-haft inspirierten Gleichzeitigkeit von zu erwartenden und konkret präsentierten Texten entsteht ein unausweichliches Pandämonium kommunikativer Irrealität!

Andreas Schüller leitet das präzis aufspielende Gewandhausorchester mit hoher Präzision, animiert die Solisten auf der Bühne, gibt der skurrilen Bühnenmusik Raum zu solistischen Exaltierungen - das klingt ohr-schmeichelnd, verstärkt die sängerische Virtuosität, unterstützt die differenzierte „Botschaft“ – gewinnt jedoch nur selten die befreiende Selbstverständlichkeit des unbeschwert schwebenden Klangs.

Und so ist es mit den Sängern: untadelig in der Intonation, aber merkwürdig gehemmt in den virtuosen Herausforderungen der so emotionalen „Porträts“ ambivalenter Charaktere. Viktorija Kaminskaite ist eine kapriziöse Fiorilla, überzeugt mit lebhafter Einstellung, brillanten Koloraturen und feiner Höhen-Charakteristik. Entsprechend Paolo Rumetz als querulanter Geronio – mit profunder Mittellage, in der geforderten Virtuosität allerdings mit zurückhaltendem „Feuer“. Timothy Fallon versucht sich mit eher sprödem Tenor an Rossinis glitzernde Vorgaben – beeindruckt durch stimmliche Konstanz, lässt aber kristallklare Höhen vermissen. Giovanni Furnaletto ist ein wandlungsfähiger Selim, steht die anstrengende Rolle überzeugend durch und überzeugt durch nachhaltige Phrasierung. Beglückend die Interpretation der Zaida durch Claudia Huckle, dramatisch im Ausdruck, überzeugend in der Interpretation. Dan Karlström nutzt den kurzen Auftritt als Albazar zu einer furiosen Demonstration seiner stimmlichen Möglichkeiten – ein helles Timbre, geradezu strahlend in den variantenreichen Höhen! Den Librettisten Prosdocimo gibt Giulio Mastrototaro als quirlige Figur, gibt diesem running gag kraftvolle Stimme mit interpretierendem Ausdruck.

Kollektiv herrscht in der Leipziger Oper einhellige Begeisterung - doch im näheren Umfeld sind gewöhnungsbedürftige Rezeptions-Sitten zu vermelden: das Ehepaar, das offenbar seit 35 Jahren jeden Gedanken austauscht; der blitzende Foto-Enthusiast; der gelangweilte „Gourmand“, der in der Haus-Zeitschrift blättert und an seinem glitzernden i-pod fummelt; das knutschende Pärchen; die sich (besser-)wissend Zuzwinkelnden, der über freie Sitzende hängende Unkonventionelle; der Schreiber mit portablem Pult; und dann der sitz-überquellende, ständig Zettel beschriftende Pseudo-Profi, der sich zudem vorher mit der Knoblauch-Ernte eines “Griechen“ vertraut gemacht hat. Da wird Opern-Rezeption zur Tortur.

Es gab in Leipzig mal – in lang vergessenen Zeiten – Konzeptionen zur Vermittlung angemessenen Rezeptions-Verhaltens. Das sollte aufgegriffen werden!

Im konkreten Fall herrscht Jubel vor, vor allem das Regieteam (mit Claudia Damm für die distanziert-rokoko-skizzierten Kostüme), differenzierter Jubel für Solisten und Orchester.

Auf alle Fälle: Die Oper Leipzig hat ein Erfolgs-Projekt im Angebot!!

Franz R. Stuke

 






 
Fotos: Andreas Birkigt