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Bildhaftigkeit
Den Mythos der Trojaner in Form einer episodisch erzählten Theatergeschichte
darzustellen, die durch die Erinnerung an vergangene Epochen einen rasanten
Schnelldurchlauf durch die "Kulturgeschichte" verspricht, erfordert Geschick,
aber noch viel mehr: nämlich phantastisches Denken. Die Inszenierung von
Berlioz' Les Troyens durch Guy Joosten an der Leipziger Oper versuchte
diesem selbst ernannten Kulturerbeanspruch gerecht zu werden, schuf jedoch
damit nicht eine Vertiefung der Geschichte und der Charaktere, sondern
nur eine bildhafte Umrahmung für die einzelnen szenischen Momente.
Unter der Mithilfe von Johannes Leiacker (Bühne) und Jorge Lara (Kostüme)
wurde eine Szenerie geschaffen, die vom klassischen Theater Griechenlands
über mittelalterliche und barocke Theaterpraktiken bis hin zum Brechtschen
Theater und dem Theater der Gegenwart führte. Die letzte Szene und damit
die Ankunft im modernen Theater sollte nicht mehr das zuvor allgemein
symbolische Verhalten des Menschen verdeutlichen, sondern zu den inneren
Vorgängen vordringen; doch das Bild der sterbenden Didon, die auf Kamera
aufgenommen und auf die Leinwand projiziert wurde, erzielte eher eine
kalte und leere Szenerie. Der spielerische Umgang mit den Mitteln des
Theaters hinterließ keine Spuren; er malte Bilder, trug aber nicht zur
Auseinandersetzung mit den Charakteren und ihren Beziehungen bei.
Es waren damit nicht die szenischen Details, die das Stück lebendig werden
ließen, sondern die Darsteller, die die Facetten der Charaktere in einzelnen
Momenten aufleuchten ließen. Als herausragend ist Nadja Michael in ihrer
ausdrucksstarken Interpretation der Cassandre zu nennen. Ihr Gesang beeindruckte
in einfühlsamen und zugleich dramatischen Partien und verband sich so
mit ihrem Spiel zu einem überzeugenden Rollenporträt. Énée, dargestellt
durch Robert Chafin, der sich vor allem durch eine kraftvolle Stimme auszeichnete,
erfüllte mit Würde seinen schicksalhaften Auftrag und hinterließ Didon,
verkörpert von Cornelia Helfricht, deren stimmliche Virtuosität, bis auf
einzelne Grenzgänge in höheren Lagen, überzeugte.
Des Weiteren bildeten Ain Anger als standhafter Panthée, Tommi Hakkala
als facettenreicher Chorèbe, Marika Schönberg als melodiöser Ascagne und
James Moellenhoff als voluminöser Narbal ein Ensemble, das sich sehen
und hören lassen kann. Die gesamte Handlung wurde stets von einem bravourösen
Chor umrahmt, der beeindruckend das anspruchsvolle Niveau, trotz seiner
Minderzahl von 100 Choristen (Berlioz wollte 200-300), ausführte.
Das herausragende verbindende Moment bildete jedoch das hervorragende
Gewandhausorchester unter der Leitung vom Bayreuth-erfahrenen Marc Albrecht.
Er hielt den musikalischen Bogen stets gespannt und verstand es, die differenzierten
Vorgaben von Berlioz in musikalische Sprachgebilde zu verwandeln und den
Zuhörer an das Geschehen zu fesseln. So wurde neben der an Bildhaftigkeit
orientierten Inszenierung ein musikalisches Niveau erreicht, das die fünfstündige
Oper in eine interessante und eine bereichernde Aufführung verwandelte.
(mk) |
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