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Fakten zur Aufführung 

AL GRAN SOLE CARICO D'AMORE
(Unter der großen Sonne von Liebe beladen)
(Luigi Nono)
8. Oktober 2009 (Premiere)

Oper Leipzig


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Revolutionsoper

Aus Anlass des 20. Jahrestages der Montagsdemonstrationen wurde in Leipzig Luigi Nonos Revolutionsoper Al gran sole carico d'amore auf den Spielplan gesetzt - und die Premiere eines der Schlüsselwerke der Musik des 20. Jahrhunderts wurde im gut besuchten Opernhaus auch mit Beifall aufgenommen. Dennoch wurde eine große Chance vertan. Denn die Neuinszenierung des jetzigen Chefregisseurs Peter Konwitschny ist ein Remake. Es ist - mit neuer Besetzung - die komplette Übernahme seiner Regie-Arbeit von 2004 an der Staatsoper Hannover. Gerade von Konwitschny hätte man sich zu diesem Datum und bei diesem Werk, das eher das Scheitern als den Sieg der gewalttätigen Revolutionen der vergangenen Jahrhunderte beschwört,  eine Auseinandersetzung mit und einen expliziten Bezug zu der friedlichen Revolution in der Stadt der Montagsdemonstration erhofft - stattdessen eine bloße Reprise, auf einen scheinbar aktuellen Termin gelegt. Schade. (Die Neu-Einstudierung älterer Konwitschny-Arbeiten in Leipzig hat offenbar System - im Dezember wird sein Hamburger Lohengrin von 1998 neu aufgelegt.) 

Nonos fulminante Collage von 1975 mit revolutionären Texten von Karl Marx bis Che Guevara, von Fidel Castro, Lenin, Gorki, Gramsci und Pavese, und ihren extremen Klanggewalten, hervorgebracht von einem riesigen Orchesterapparat, kann auch heute noch bestehen. Der Fokus auf die Frauen und Mütter der Revolutionen, sei es während der Pariser Commune oder der Arbeiterkämpfe in Rußland, überzeugt weiterhin. Aber es mehren sich auch die Fragezeichen. Vor allem der erste Teil der szenischen Aktion hat als Grundlage eine Fülle von rasch hintereinander folgenden Kurz-Texten und Fragmenten der verschiedensten Art und Herkunft, die zwar in den seitlichen Übertitelungszeilen erscheinen, aber dennoch kaum zu verfolgen, geschweige denn zu verarbeiten sind. Es bleiben im weitesten Sinne „linke“ Gedankensplitter und Textschnipsel, hintereinander geklebt mit eher nur losem Zusammenhang. Als ob er mit dieser Vorlage auch seine Not hatte, verfällt Konwitschny in einen ironischen, mitunter ulkigen Inszenierungsstil, der auch regelrechtes Kasperle-Theater, Scharaden oder Lenin als Chordirigenten auf die Bühne bringt. Sollte dies bewusst dem grundständigen Revolutions-Pathos des Stücks entgegengesetzt werden, bleiben dennoch Zweifel. Der erste Teil hat etwas zuviel vom plakativen, gelegentlich ins klamaukhafte gedrehten, vordergründigen Polit-Theater.  Ganz anders der zweite Teil, in dem  mit Gorki/Brechts Mutter und dem russischen Arbeiterelend eine auch individuell nachvollziehbare Geschichte mit einer Entwicklung, einem Anfang und einem Ende erzählt wird. Jetzt wird dem Zuschauer die Möglichkeit des Einfühlens in die an ihrem Schicksal fast verzweifelnde, aber schließlich doch aufbegehrende Mutter gegeben, die sich auf die Seite ihres kämpfenden Sohnes stellt. Die Gegenschnitte zur harten, bedrohlichen Revolutionsaktion mit den lyrischen Naturtexten Cesare Paveses entfalten eine beeindruckende Wirkung. Genauso wie das Bühnenbild (Helmut Brade, wie schon in Hannover) mit seinen riesigen hoch aufragenden grauen Wänden, die von Szene zu Szene immer näher aufeinander rücken, den Raum immer enger werden lassen und sinnfällig das regelrechte Zerquetschen und Zerdrücken des geschundenen Volkes vermitteln. Der zweite Teil, in dem das Revolutions-Stück konkrete Gesichter, eine nachvollziebare Handlung und nicht nur plakative Parolen zeigt, ist auch in Leipzig ergreifend von Peter Konwitschny inszeniert.

Die Klangmassen mit ihren extremen Ausbrüchen und Attacken mit bis dahin nicht gekannter Schärfe, aber auch die feinen, zarten Orchesterpassagen waren bei Dirigent Johannes Harneit erneut in guten Händen. Das Gewandhausorchester zog voll mit und präsentierte sich in bester Verfassung. Ebenso der Chor (Einstudierung Sören Eckhoff), der dem stücktragenden Volk und den revolutionären Massen zur Stimme verhalf.  Als vier hohe Soprane scheuten Marika Schönberg, Kathrin Göring, Soula Parassidis und Tanja Andrijic mit dem Mezzo von Iris Vermillion (als Mutter) keinerlei Einsatz und  Anstrengung, gingen voll in ihren Rollen auf,  bis hin zu die Gesangsgrenzen fast überschreitenden Spitzentönen und existentiellen Schreckens- und Schmerzensschreien.

Das Leipziger Publikum, mit einem bemerkenswert großen jugendlichen Anteil feierte alle Beteiligten mit großem Beifall - und manch einer vielleicht auch ein wenig sich selbst als Mitkämpfer der friedlichen Revolution vor 20 Jahren. 

Axel Göritz 

 
 






 
Fotos: Andreas Birkigt