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Fakten zur Aufführung 

LOHENGRIN
(Richard Wagner)
18. Dezember 2009 (Premiere)

Oper Leipzig

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Über die Sinnsuche

Moden kommen, Moden gehen - was heute als besonders angesagt gilt, kann morgen schon völlig out sein oder sich im besten Fall als zeitbeständig erweisen. Der Wandel dessen, was als jeweils passend oder stimmig gelten mag, betrifft dabei nicht nur das reale Leben - auch auf der Bühne und in der Regiekunst bleiben Zeitströmungen und gesellschaftliche Veränderungen nicht außen vor. Auch unter diesem Aspekt mag es ein interessanter Test sein, wenn Peter Konwitschny seine rund ein Dutzend Jahre alte Hamburger Lohengrin-Inszenierung, die als wilhelminisches Klassenzimmer (Bühne: Helmut Brade) für Furore sorgte, nun in Leipzig neu einstudiert hat. 

Was von den Gymnasiasten, die sich in eine Ritterwelt hineinträumen und -steigern bleibt,  ist sicher eine der kurzweiligsten Aufführungen der romantischen Oper um Machtintrigen, Zauberei und Gottesgericht im mittelalterlichen Antwerpen. Jegliches Pathos, alle statuarische Steifheit und erhabenes Gepränge, das häufig die Bühne um die brabantischen Fürsten und König Heinrich beherrscht, ist dieser Schulklasse ausgetrieben - stattdessen eine quicklebendige, umtriebige, auch lärmende und sich in allerlei Rangeleien und Kämpfen messende Schülerschar in kurzen Hosen mit spielerischen Holzschwertern und Pappkrone für den König und dem einzig Erwachsenen wundersamen Lohengrin in hellem Mantel und langer Hose. Dabei bleibt, wenn es um die konkrete Umsetzung der Szene geht, das Bühnengeschehen  immer nahe am Text, wird ihm nichts Fremdes übergestülpt. Wenn Elsa als „entrückt“ bezeichnet wird, erscheint ein verstörtes junges Mädchen, das sich im Schrank versteckt hat und nur noch in ihrer Phantasiewelt lebt  - ihre zauberische, handfeste Gegenspielerin Ortrud zeigt ihr dann schon mal ganz unverhohlen den Vogel und lacht sie lauthals aus oder blockiert sie im Hochzeitsbild mit einem kräftigen Tritt auf ihre Schleppe schlicht am Weitergehen. Für das Brautgemach holen die Mitschüler ein paar Matten aus der Turnhalle, legen ein Betttuch drüber und arrangieren ihre Sitzbänke im Halbrund darum herum. Die Deutung des Lohengrin-Personals als eine sich streitende und kabbelnde Klassenbande erlaubt Konwitschny die Entfesselung eines jugendlichen Bewegungsrepertoires, das er kongenial umsetzt und nutzt, ohne dabei auch nur ansatzweise in billigen Klamauk zu verfallen. Hier wird im jugendlichen Übermut auch mal drastisch zur Sache gegangen oder mit feiner Ironie der Gegner attackiert - für Schenkelklopfen über Pennälerwitzchen gibt das allerdings nichts her. Diese noch an Wunder glaubende Schülerschar lässt sich auch in Leipzig auf bemerkenswerte Weise auf Konwitschny und sein Regiekonzept ein.

Szenisch ist dieser  Lohengrin kaum zu übertreffen. Allen voran der nicht nur locker lebhaft agierende, sondern auch kraftvoll präzise singende Chor (Einstudierung: Sören Eckhoff). Gun-Brit Barkmin spielt überzeugend  das kleine, naive, leicht spinnerte Mädchen Elsa. Mit ihrer (noch) kleinen, jugendlich frischen Stimme neigt sie allerdings zu sehr zum Forcieren. Noch stärker ist dies beim Lohengrin von Stefan Vinke, der fast durchwegs mit Kraft und Drücken seine Rolle anlegt, jeglichen lyrischen zarten Glanz und Schmelz aber vermissen lässt und zur Gralserzählung am Ende auch mit der Stimme ziemlich am Ende ist. Als Einspringerin für die Ortrud konnte kurzfristig die Wagner-Heroine Gabriele Schnaut (statt der vorgesehenen Susan MacLean) gewonnen werden, die ihre Rolle (auch schon in Hamburg) faszinierend gestaltet, inzwischen aber über den Zenit ihrer Karriere hinweg sein dürfte. Rundum überzeugen konnte so neben dem Chor vor allem der markant kräftige, dennoch stimmschön und differenziert geführte Telramund von Hans-Joachim Ketelsen. James Moellenhoff (König Heinrich) und Jürgen Kurth (Heerrufer) vervollständigen das Ensemble. Das Gewandhausorchester unter seinem neuen Generalmusikdirektor Ulf Schirmer spielte anfangs etwas unkonzentriert,  gewann im Verlauf der Aufführung aber zunehmend Profil und Gewicht, so dass die szenische Bühnen-Aktion während der Vor- und Zwischenspiele des Orchesters durchaus störend wirkte.   

Über den ideologischen Überbau und die Tragfähigkeit dieses Konwitschny-Lohengrins als eines schwärmerischen Stückes über die Sinnsuche der noch unerfahrenen Jugend mag man dabei geteilter Meinung sein. Wenn im Schlussbild das Klassenzimmer leer geräumt und die Schüler in Reih und Glied mit den Ranzen auf den Rücken wie Soldaten mit dem Tornister zum Abmarsch bereit stehen und der kleine Junge Gottfried mit Stahlhelm und Gewehr erscheint, ist dies nicht nur ein bewusster Bruch mit der bisherigen lustvoll spielerischen Klassensituation, sondern auch ein vielleicht zu deutlicher, aufgesetzt wirkender Fingerzeig  des Regisseurs über die Zukunft dieser Schülerschar. 

Zumindest einem gewichtigen Teil des Premierenpublikums wollte dieses Konzept nicht einleuchten - als Konwitschny auf die Bühne kam, lieferten sich Bravo-  und  Buhrufer einen kleinen Wettstreit über Zustimmung und Ablehnung. Die Sänger und der Dirigent hingegen wurden mit einhelligem kräftigen, nicht allzu langem Beifall bedacht. 

Axel Göritz







Fotos: © Andreas H. Birkigt