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Fakten zur Aufführung 

AIDA
(Giuseppe Verdi)
1. November 2008 (Premiere)

Oper Leipzig


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Ménage à trois

Wer ägyptische Folklore, historisierende Werktreue und Arenenflair liebt, sollte Leipzig weiträumig umfahren. Der einzige Elefant: geschrumpft auf Steiffgröße. Der Chor (Einstudierung Sören Eckhoff) singt atemberaubend schön, backstage. Und wenn sich der Blick auf ihn kurzzeitig eröffnet, dann zeigt sich ein feierlich gewandeter Oratorienchor, der das Hohe Lied der Liebe auf Aida, Amneris und Radames zelebriert. Für Freunde einer der Differenzierung verpflichteten, sensiblen und stringenten Regieleistung, charaktergefärbter Kostüme, den Fokus auf das Psychogramm einer Ménage à trois zwingenden Bühnenbildes hingegen sollte kein Weg zu weit sein, sich diese Aida zu gönnen. Ein hermetischer Raum, blassblaue Kacheln, wie im Vorraum einer Vereinsdusche, in den der Blick des Zuschauers, allen Sehgewohnheiten zuwider laufend, gesogen wird, links eine Tür, die das äußere Geschehen von den inneren Vorgängen unterschieden lässt, das osmotische Verhältnis zwischen Einzelgeschick und kollektiver Einbindung, zwischen Seele und Welt, die Korrelation von Geschichtlichkeit und Mythos und deren Aporien vorzüglich widerspiegelt. In aller Dialektik, wenn die geöffnete Seitentür Einfallstor für geschlossene Konstellationen und beendete Bewegungsfreiheit symbolisiert, und nur die Eingeschlossenen und Abgesonderten bei geschlossener Tür Wahlmöglichkeiten eröffnet sehen. Mitten im Raum das Sofa, hinter dessen Rücken sich der Vaterkönig verstecken und drängend auftauchen wird, das Über-Ich spielt gerne Possen, eine rote Decke, halb royal, halb Blutlaken. Peter Konwitschny gelingt es, kongenial unterstützt von Jörg Kossdorff (Bühne) und Michaela Mayer-Michnay (Kostüme), die Liebe zweier Frauen zum selben Mann derart eindringlich zu zeichnen, dass man die Oper am liebsten in Aida und Amneris umbenennen möchte. Wenn am Ende Amneris mit im Hungergrab leidet, den (innerseelischen) „Unglückliche-Liebe-Tod“ stirbt, fährt draußen ungerührt (Video) der frühabendliche Leipziger Verkehr an der Oper vorbei, Passanten überqueren den Zebrastreifen, deren geschäftige Ungerührtheit alle fassungslos macht, die je die Tragödie einer unerhörten/gesellschaftlich nicht geduldeten Liebe erlebt haben.

Der Regisseur zeigt die Verknüpfung von Religion und viriler Macht am Phänomen der Kultprostitution. Der Triumphmarsch gerät zur absurden Siegesparty, in der der gereizte Oberpriester schnell mal zeigt, dass die Religion immer noch über den Bereich des Sexuellen bestimmt. Ein heimkehrender Radames, dessen Bekleidung von der Beschmutzung durch den Krieg mehr erzählt als tausend eirenische Pamphlete.

Das Gewandhausorchester unter Leitung von Axel Kober spielt Verdi. Und wie! So vereinnahmend dramatisch, so herrlich laut, so italienisch wie es der Maestro vorgegeben hat. Sprudelnd, dann wieder streng, konzentriert und dann wieder sich selbst überholen wollend. Meisterlich!

Konwitschny hat ein Starensemble verpflichtet, wobei die hauseigenen Kräfte absolut ebenbürtig waren und überzeugten. James Moellenhoff: zu Recht gefeiert, sein König singt kraftvoll, präsent, gestaltend. Und auch Viktorija Kaminskaite imponiert als bildschöne Priesterin, die auf der Sofalehne in Rückenlage kopfunter eine brillante Gesangsleistung auf den Teppich legt. Sylvie Valayre als Aida bleibt ein wenig unter ihren Möglichkeiten an diesem Abend. In den Höhen fehlt hin und wieder die spielerische Leichtigkeit. Allein schon ihre außergewöhnliche Klangfarbe lässt ihre Rolleninterpretation zu einem Genuss werden. Längerer Höflichkeitsapplaus. Natascha Petrinsky in der Rolle der Amneris: so raffiniert weiblich, dass man Radames nicht versteht, warum sie ihn so kalt lässt. Der stimmige Selbstbefriedigungsakt ohne Peinlichkeit. Die Stimme erotisch. Großer Applaus. Radames beeindruckend gespielt und mit Italianità gesungen von Carlo Ventre. Dem Ramfis gibt Danilo Rigosa alle Verschlagenheit der klerikalen Nomenklatura. Schöne sonore Stimme. Die Rolle des Amonasro stemmt Paolo Gavanelli mit wütender Gebärdigkeit, zupackender, ausdrucksstarker Stimme. Michael Chu überrascht beim Schlussapplaus, weil sein Bote nur backstage zum Vortrag kam. Eine schmeichelnde und warme Stimme.

Man war gespannt auf das Leipziger Publikum, wie es nach dem Fliegenden Holländer auf „Regietheater“ reagieren würde. Der von den Museumswächtern der deutschen Operninszenierung und den Intellektuellenfressern erhoffte Skandal blieb ebenso aus wie schlagende Türen oder hämisches Lachen und Zwischenrufe. Schon bei der Pause erste Abrechnungen. Bravos und Buhrufe. Am Schluss waren einige erbost, die meisten zumindest zufrieden, viele angetan, nicht wenige begeistert. Das Publikum in Leipzig ist nicht gerade die Vorhut der Avantgarde. Ein gesundes Verhältnis zwischen Tradition und Moderne wird für die Zukunft des Hauses und seine Leitung entscheidend sein. Kommunikation ereignet sich eben nicht vertikal, sondern auf Augenhöhe. Nur dem Hund reicht man von oben das Fressen.

Frank Herkommer

 












Fotos: Andreas Birkigt