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Fakten zur Aufführung 

DAS GESICHT IM SPIEGEL
(Jörg Widmann)
9. Februar 2005
(Premiere: 29.1.05)

Theater Krefeld

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Leidender Klon

Jörg Widmanns Oper bringt die emotionalen Befindlichkeiten der Gen-Techniker und ihrer Produkte bewegend auf die Bühne (Libretto: Roland Schimmelpfennig). In der Kommerzwelt sind die Verwirrungen zweifellos brutaler als in der Antike, doch das Resultat ähnelt dem antiken Pygmalion „Wenn ich kein Mensch bin, will ich sterben“. Handlungsträger: die Börsenfrau Patrizia, ihr frustrierter Ehemann Bruno, der Wissenschaftler Milton und der Patrizia-Klon Justine; komprimierte Beziehungen, kommentiert durch einen Chor offenbar geklonter Kinder. Musikalisch bietet Widmann eine Fülle von Stilformen, attraktiv instrumentiert, mit elektronischen Passagen – im Duktus von Temposteigerungen über symmetrische Eindrücke zu „unendlichem Dehnen“; faszinierend das ewig-lange Ritardando mit intensiven Klangeffekten.

Kenneth Duryea interpretiert die diffizilen kompositorischen Vorgaben mit den hochkonzentrierten Niederrheinischen Sinfonikern sehr sensibel, beweist die innere Spannung der Musik – und deren „Hörbarkeit“ als dramatisches Mittel, bestätigt die Theorie von der Erweiterung der Bilder durch Töne und Klänge.

Harald B. Thor baut ein Labor im verfallenen Ambiente eines florentinischen Palazzo, ein Memento an die Anfänge menschenkonstruierender Wissenschaft; setzt Videoprojektionen und Bildschirme als handlungstreibende, -dokumentierende und –erklärende Elemente ein.

Dieses Angebot verschiedener Ebenen wird von Andreas Baesler mit theaterinstruktiver Sicherheit aufgenommen: die Personen handeln mit quasi-mythischer Emphase auf dem schmalen Grat moderner Attitüde und psychologischem Zwang. Ein weiterer Erfolg für den ingeniösen Oberspielleiter des Musiktheaters im Revier Gelsenkirchen.

Das Krefelder Ensemble zeigt sich mit hohen Darstellerqualitäten: da werden ethische Existenzprobleme in kommunikativ gestörten Beziehungen nachvollziehbar, da geschieht Wissenschaftshybris, menschliche Attitüde, Liebe, Enttäuschung und Entfremdung im Kantilenen, gehauchten Seufzern, hyterischen Schreien, aber auch in melodiösen Parlando-Bögen. Kerstin Brix mit musical-erprobten Exaltationen (Patrizia), Isabelle Razawi mit stockender Individualität (Klon Justine) sowie Christoph Erpenbeck mit flexibel-emotionalem Bariton und der schon in der Münchner Premiere (2003) glänzende Richard Salter lassen das Faszinosum „modernes Musiktheater“ erlebbar werden; dazu der unbeirrt agierende Mädchenchor der Chorakademie Kerpen. Eine grandiose Umsetzung aktueller Ethik-Probleme.

Das hochinformative, knapp-gehaltene Programmheft von Benedikt Holtbernd gibt mit relevanten Interviews mit Komponist und Regisseur und „erzählenden“ Probenfotos von Matthias Stutte eine eindringlich-unakademische Rezeptionshilfe. Doch in Krefeld feiert nur eine Minderheit das bemerkenswerte Projekt. Alt-Abonnenten akzeptieren zwar die exorbitanten Leistungen „ihres“ Theaters, bleiben aber reserviert. Doch: Vielleicht setzt sich die enorme Sogkraft des Stückes aber noch durch! (frs)


Fotos: © Matthias Stutte