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Fakten zur Aufführung 

DAS FRAUENORCHESTER VON AUSCHWITZ
(Stefan Heucke)
8. Dezember 2006
(Premiere: 16.9.06 in M'Gladbach)

Theater Krefeld-Mönchengladbach
(Theater Krefeld)

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Missbrauchte Musik

Fania Fenelons erschütternder Bericht über das Birkenau-Frauenorchester ist Grundlage der Heucke-Oper. Der Missbrauch von Musik in apokalyptisch-menschenverachtender Vernichtungslagern wird zum ergreifenden Thema. Man könne nach Auschwitz keine Gedichte mehr schreiben, diagnostizierte Adorno zu Recht; man kann auch unbefangen keine Opern mehr schreiben, so wie Wagner, Verdi und Puccini es getan haben. Aber man kann mit Mitteln des Musiktheaters Erinnerungsarbeit leisten und das Unvorstellbare immer wieder formulieren und an kommende unwissende Generationen weitergeben. Das Theater Krefeld-Mönchengladbach nimmt sich dieser Ewigkeitsaufgabe an und wagt sich an die Uraufführung der „Heucke-Oper“ mit intensivster compassion.

Nach der Premiere in Mönchengladbach sind die Aufführungen in Krefeld permanent ausverkauft, locken ein Publikum ins Musiktheater, das sich von den inhumanen Ungeheuerlichkeiten zur nachdenklichen Reflexion provozieren lassen will.

Jens Pesels Regie verweist auf die ständige mörderische Bedrohung mit immer neuen Kolonnen von Opfern, immer wiederkehrenden Gas-Einströmungen, immer wieder aufheulendem aggressiven Hundegebell und wachsenden Bergen von Koffern und Kleidern. So gelingt die Einordnung der furchtbaren Orchesterdramatik in die noch brutalere Realität der Vernichtungsmaschinerie. Die rational nicht fassbare Situation der Frauen des Orchesters wird in ihren verzweifelten Versuchen nicht zu bewältigender Alltagskommunikation in zynischer mörderischer Umgebung emotional erschütternd ahnbar.

Friederike Singers abstrakt-demonstrierende Bühne verweist mit Selektionsrampe, Opfer-Porträts und umstürzenden Stühlen intensiv assoziierend auf die Unmenschlichkeit der scheinbar „normalen“ Situationen mit ihren abgründig-tödlichen Bedrohungen.

Im Graben dirigiert Graham Jackson, im Hintergrund der Bühne Giuliano Betta die sensibel aufspielenden Niederrheinischen Sinfoniker, auf der Bühne agiert das „Frauenorchester“ mit Strauß-, Suppe- und Puccini-Musik zur Freude der SS-Schergen. Heuckes Komposition lebt von einem fundierenden Streicherklang, über den charakterisierende Instrumente Personen und Motive hörbar werden lassen. Orientiert ist diese Musik an Ideen Schostakowitschs. Doch gelingt es der Musik nicht, die Konventionen engagierten Musizierens in die Dimensionen der brutalen Totalität zu überführen – wie das Komponisten-Vorgängern wie Enescu, Orff, Henze oder Berg gelungen ist.

Konsequent die Besetzung mit Sopran- und Mezzo-Stimmen: die existenziell relevanten Differenzen von Leiden, Kampfbereitschaft und Zynismus werden intensiv hörbar. Anne Gjevangs dramatischer Mezzo - allerdings mit zuviel Vibrato – gibt der energisch-fordernden Alma Rose kritisch-musikbewusste Statur; Kerstin Brix verleiht der Fania emotionalisiernde Züge; Isabell Razawi und Katharina von Bülow überzeugen als Fania und Berthe; Lea-Ann Dunbar und Janet Bartolova verkörpern auch sängerisch die brutale Schönheit der SS-Aufseherinnen. Ensemble und Chor der Krefeld-Mönchengladbacher Oper leisten Außergewöhnliches, beeindrucken ein gebannt imaginiertes Publikum zutiefst .

Die musikalisch-historische Großtat des wagemutigen Theaters setzt Impulse für die unerlässliche Erinnerungsarbeit zu Zeiten bequemer Verdrängungen – doch bleibt das Problem der Darstellung des Nicht-Darstellbaren. (frs)


Fotos: © Stutte