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Fakten zur Aufführung 

AIDA
(Giuseppe Verdi)
7. September 2007 (Premiere)


Theater Krefeld

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Schwarz-weiße Tiefenschärfe

Weniger kann auch sehr viel mehr sein. Wer zum Saisonauftakt in Krefeld eine pompöse Ausstattungsoper mit karnevalesken Kostümen, Fellachenfolklore und Arenenromatik erwartet hatte, sah sich vielleicht enttäuscht. Regisseur Bruno Klimek gelang es dagegen, ein Lehrstück abzuliefern für exzellente Personenführung, wie man komplexe Charaktere heraus arbeitet aus dem wogenden Geschehen und genau dadurch erst den Ablauf nachvollziehbar macht und ihn aus der anarchischen Beliebigkeit und für Spätgeborene belanglosen Zufälligkeit wechselnden Kriegsglücks heraus nimmt. Eine nur scheinbare Statik, auch zu Gunsten der stimmlichen Entfaltungsmöglichkeiten, die wie das konkludente, stufengestaltige Bühnenbild - dazu analog - vertikal aufgemischt wird. Die großen Existentialen der Aidaoper wie doppelte Schuld, Vernichtungsphantasien bei gleichzeitiger Verschmelzungslust, tödliche Eifersucht und Hingabe des eigenen Lebens, der Sieg in beiderlei Gestalt - Amneris wie Aida - des Sakralen über das Profane, in dieser Inszenierung bekommen sie eine selten gesehene Tiefenschärfe.

Behutsamer Einsatz von Requisiten bei großartiger Wirkung. Fahnenstangen, die keiner Stofflappen bedürfen und dadurch jeden verniedlichenden Touch verlieren und das werden, was sie sind- Insignien des Todes. Angemessenes Schwarz- weiß-Malen im Wortsinn, dabei an keiner Stelle ins Klischeehafte verfallend. Griechische Moira statt parsischer Dualismus. Der Ananke wird einerseits Tribut gezollt, sie wird im Opfer gleichzeitig überstiegen und ins Humanum transzendiert. Klimek hält konsequent und intelligent Strenge im Konzeptionellen durch, ohne je den Eindruck der Verbissenheit zu erwecken.

Dass Kostüme keine Konzession an ein am bloßen Schein interessiertes Publikum oder nett anzuschauende Camouflage sein müssen, vielmehr Botschaften übermitteln oder verstärken, zeigt diese überaus gelungene Inszenierung. Offenes Dekolleté bei der erotisch schwarz gewandeten Sklavin, hochgeschlossen und kontrolliert ihre Herrin im streng blauen Reifenkostüm. Ein Tuch, das wandert: Von der Augenbinde des zu vereidigenden Feldherrn, der nicht nach dem Ansehen urteilt, über Strangulationsmittel und Erniedrigungsinstrument an Aida (Soldatin Englands Hundeleine!) bis zur Augenbinde des Todgeweihten. Jacke an, Jacke aus, schon wechseln die jeweiligen Funktionen der Protagonisten. Abu Ghreib war schon immer, weil sich Sieger selten nobel zeigen und ihrer archaischen Lust an Demütigung und Auslöschung frönen. Nachhall des Anthropophagismus. Die für die Kostüme zuständige Uta Winkelsen gibt dafür die berüchtigte Bush-Kapuze mit auf die Bühne. Für deren ebenso schlüssiges wie gelungen funktionales Bild verantwortlich Thomas Armster.

Die Niederrheinischen Symphoniker unter Leitung von Graham Jackson leisten ausgezeichnete Arbeit. Wie die schwierige Herausforderung gemeistert wird, die Blechinstrumente im Zaum zuhalten, ohne den eigentümlichen Charakter dieser Verdioper im mindesten zu schmälern, beeindruckt ebenso wie das angemessene Verhältnis von Orchester und Stimmen zueinander. Klangfülle und feine Nuancierung gehen nahtlos ineinander über und belegen, wie eingespielt das Orchester und wie führungsstark ihr Dirigent.

Was Chöre und Extrachor an diesem Abend leisten, gehört mit zu dem Besten auf deutschen Bühnen. Gesanglich wie darstellerisch. Heinz Klaus hat einmal mehr vorzügliche Arbeit eingebracht.

Die Einzelstimmen: Bittere Momente musste Susan Maclean durchleben, die trotz einer Kehlkopfentzündung das Haus nicht im Stich ließ und durch ihre stumme Amneris andeutete, wie dieser Abend hätte verlaufen können, wenn sie neben ihrem ergreifend-mitreißendem Spiel ihre Belcanto-Stimme einbringen hätte können. So sang an ihrer Stelle vom Pult Anna Maria Dur. Gepflegt. Gekonnt. Aber ohne Belcanto. Dass sie den größten Applaus bekam, lässt den Orkan erahnen, der Susan Maclean gefeiert hätte.

Janet Bartolova als Aida transportierte den ungebrochenen Stolz der königlichen Sklavin in beeindruckender Manier. Ihr Liebe vielleicht noch zu wenig von dieser Welt. Hier sind Interpretationsräume frei, in die einzutreten sie durchaus das Potential hat und den Mut haben sollte. Ihre schöne Stimme überzeugte. Dasselbe gilt für Timothy Simpson als Radames. Hier wächst ein hoffnungsvoller, stimmschöner Tenor heran. Auch die weiteren Rollen sind durchweg gut besetzt: Der schwächliche, Rollstuhl abhängige König durch den angemesssen dezent singenden Hayk Dèninyan, Ramphis mit der wohlklingenden und klaren Stimme des Matthias Wippich, Amonasro wird tadellos gesungen von Christoph Erpenbeck, Debra Hays mit ihrem einschmeichelnden, weichen Sopran gibt die unsichtbare Tempelsängerin.

Das Publikum. Sachkundig. Opernfest. Auf Austausch bedacht. Sowjetrekorde im Applaudieren werden in Krefeld vermutlich nie gebrochen. Dafür gibts auf Kosten der Stadt bei der Premierenfeier Sekt bis Selters gratis. Dabei sieht das feine Publikum nicht so aus, als könne auch nur einer sein Getränk nicht selbst bezahlen. Was waren das noch für Zeiten, als der sozialdemokratische Malocher samt Frau für seine kulturellen Bemühungen mit Freibier belohnt wurde. In Krefeld kann man in diese Zeiten wehmütig eintauchen. Nur beschwere sich keiner tief im Westen über die angeblich unnötigen Ostsubventionen. (herk)

 


Fotos: © Stutte