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Fakten zur Aufführung 

DER WILDSCHÜTZ
(Albert Lortzing)
1. März 2009
(Premiere: 23. Januar 2009)

Oper Köln


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Zielsichere Satire

Albert Lortzing als politisch-aufklärender Kopf Ernst genommen, Kotzebues scheinbar affirmatives Stück als Demaskierung des desolaten Adels begriffen – dazu ein kräftiger Schuss britischen Humors: Schluss ist mit einem betulichen Biedermeier-Sedativum, dafür werden mit den Mitteln hintersinniger Satire die Situationen des Vormärz erhellend karikiert - und am Ende gar zur revolutionären Geste kulminiert: Das scheinheilige Bekenntnis zur „Stimme der Natur“ wird von den „Massen“ mit den demonstrativ hochgehaltenen „Roten Büchern“ gekontert. Wenn Theater Aufklärung mit den Mitteln der Unterhaltung ist (Brecht) – hier wird es zum Ereignis!

Nigel Lowery gelingt der Coup einer nachvollziehbar verklausulierten „Aktualisierung“, spitzt das sooft rüde missachtete politische Engagement Lortzings zu – und vermag mit plakativen Bildern (gesellschafts-)kritische Akzente zu setzen. Mit den Mitteln des „Nicht-allzu-Ernst-Nehmens“ wohlgemerkt, nicht mit der Attitüde des Polit-Agitators. Permanente Details im fast schon subversiv ablaufenden Zusammenspiel der Akteure halten das Interesse wach.

Und Lowerys Bühne mit groben Hochhaus-Umrissen, einer Bühne auf der Bühne, eingespielten Videos im Stil des frühen Films und blinkenden Neon-Elementen bietet zahllose optische Reize – bietet variable Spielflächen für dezidiertes Bühnenhandeln.

Enrico Dovico nimmt mit dem geradezu lustvoll aufspielenden Gürzenich-Orchester die Herausforderungen des hintersinnigen Inszenierungskonzepts an, lässt die Geigen bisweilen geradezu spöttisch klingen, setzt Bläser und Schlagzeug als dezidiert kommentierende Instrumente ein, verbreitet mit kalkulierter Klanggebung lustvoll-spöttische musikalische Atmosphäre.

Die Solisten sind offensichtlich durch das bizarre Geschehen animiert, nutzen ihre Gelegenheiten zu virtuos-doppelbödigem Spiel und singen die eingängigen Lortzing-Melodien mit intensivem Spaß an der Freud. Wilfried Staber gibt einen verklemmten Baculus, interpretiert seine Kapitalisten-Chance („5000 Taler“) mit hinreißender Gier, setzt diesen spießigen Charakter mit variablem Bass stimmlich grandios um. Katharina Leyhe geht die Verwandlung der Baronin zum Studenten, zum verkleideten Gretchen, zurück zur blasierten Adligen behutsam an, findet variantenreichen Ausdruck für die wechselnden Rollen. Claudia Rohrbach ist ein „naives“ Gretchen, lässt die ersten Regungen weiblicher Aufmüpfigkeit deutlich werden, singt ihre Arien mit zarter Stimme. Miljenko Turk und Hauke Möller geben den Grafen und den Baron Kronthal als aberwitzig sexualisierte Typen einer dekadenten Gattung (Lortzing hat offenbar sein ganzes Repertoire aktiviert, um diese verachtete Spezies zu diffamieren!), beeindrucken mit voluminösem Bariton und hellem Tenor. Sonja Borowski-Tudor strahlt als kunstversessene Gräfin die noch vorhandene Würde des untergehenden inzüchtigen Standes aus, vermittelt mit souveränem Mezzo das Leiden am Untergang. Hanna Larissa Naujoks verleiht der Nannette intimen Klang, und Jochen Langner ist der intrigant-störende Pankratius im Stil eines listigen Komödianten. Der Opernchor präsentiert sich als kollektiv aufrührerische „Masse“, so wie die Jungen und Mädchen der Chöre am Kölner Dom quirlige „Jugendkultur“ zu Zeiten des Vormärz vermitteln.

Das Sonntagnachmittags-Publikum braucht eine gewisse Anlaufzeit, um sich auf die verzwickte Ambivalenz von verfremdeter Historie und revolutionärer Attitüde einzustellen – und auch noch den nicht-kölschen Lowery-Humor zu goutieren.

Ob die „Botschaft“ angekommen ist, bleibt offen. Jedenfalls wird die Übernahme von der Stuttgarter Oper in Köln ihr Publikum finden. (frs)