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Fakten zur Aufführung 

TRISTAN UND ISOLDE
(Richard Wagner)
22. März 2009

Oper Köln


Points of Honor                      

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Das Tristan-Debakel von Köln oder: Kurwenal, der Held

Hart, aber gerecht: Mit einem einhelligen und den Künstlern gegenüber fast grausamen Orkan heftigster Ablehnung endete die Kölner Tristan-Premiere. In der kollektiven Missstimmung gab es aber doch einige Nuancen: Gänzlich negativ bewertet wurde die Inszenierung von David Pountney, die Ausstattung von Robert Israel und Marie Jeanne Lecca, das Dirigat von Markus Stenz und der Tristan des Richard Decker. Etwas weniger schlecht kam die Isolde der Annalena Persson, Dalia Schaechter als Brangäne und Alfred Reiter als König Marke davon. Als Lichtblick der Inszenierung erwies sich Samuel Youn als Kurwenal, der entsprechend begeistert aufgenommen wurde.

Die negative Entwicklung zeichnete sich schon mit der Ouvertüre ab, dargeboten vom Gürzenich Orchester unter der Leitung des Kölner GMD Markus Stenz vor einem geschlossenen, mit Wellen bemusterten Vorhang. Langsam und schleppend, wenig farben- und körperreich und bar jeder dramatischen und atmosphärischen Innenspannung begann der Abend. Im ersten Aufzug nahm das Orchester auch nicht richtig Fahrt auf, wozu Regie und Sängerdarsteller auch wenig Anreiz boten, eine Befeuerung im Negativen also. Problematisch gleich die Besetzung der Hauptrollen: Annalena Persson, die die Partie der Isolde bereits in der Rosalie-Inszenierung in Basel sang, ist eine mädchenhaft jugendliche Isolde mit einem eher kleinen und wenig tragfähigen, aber gut fokussierten, hellen und klaren Sopran. Ihr Partner Richard Decker, ihr Tristan ebenfalls in Basel, zeigte sich gleich zu Beginn als nicht in bester Verfassung. Matt, wenig intonationssicher und kaum bühnenpräsent stellte er sich der Auseinandersetzung mit Isolde, die sich aber auch nicht richtig entzündete, da die Regie die Protagonisten von Anfang an im Stich ließ. Es entwickelten sich in der Inszenierung keine Beziehungsgeflechte, weder eine äußere noch eine innere 'Handlung' war auch nur entfernt erkennbar. Es blieb auch im folgenden viel bloße Statuarik, über weite Strecken eine quasi konzertante Aufführung im problematischen Bühnenbild von Robert Israel.

Der erste Aufzug spielt bei Pountney/Israel auf einem kleinen galeerenartigen Ruderboot im Wikingerstil, mit dem Herrenchor der Kölner Oper als Ruderer – akustisch abwegig positioniert mit dem Rücken zum Publikum. Gerudert wird allerdings nur, wenn der Chor zu singen hat. Richtige Spielfreude entwickelte nur Samuel Youn als Kurwenal. Stimmlich wie dramatisch in bester Verfassung bildete er einen auffallend starken Kontrast zu allen anderen Beteiligten. Er vermochte es in der Verhöhnungsszene auch, Annalena Perssons Isolde etwas aus der szenischen Reserve zu locken.

Die Bühne ist im ersten und dritten Aufzug an drei Seiten mit Vorhängen verhängt, oft ist sie auch noch mit einem Gazevorhang nach vorne geschlossen. Die Töne wurden geschluckt, der Gesang war mit Ausnahme von Youn und Schaechter wenig durchschlagskräftig und die Aufführung (ohne Übertitel) geriet insgesamt kaum textverständlich. Um diesem Manko zu begegnen, fuhr Stenz das Orchester permanent zurück, um die Sänger nicht zuzudecken, was die Aufführung auch nicht gerade befeuerte. Was den Gesamtcharakter der Inszenierung überhaupt negativ auszeichnete, war ein ganz unzureichendes Mischungsverhältnis von Gesang und Orchester, und so verfehlte man eine essentielle Komponente jeder großen Wagnerinterpretation.

Im zweiten Aufzug ist die Szene vollständig verwandelt. In einem geometrisch dekonstruktivistischen, atelierähnlichen und knallbunten Ambiente, das, über die Drehbühne angetrieben, sich auch permanent im Kreis bewegt, finden Tristan und Isolde keineswegs zueinander. Die Kleidung ist in der Nachtszene vertauscht, in der Gegenwelt tragen die Protagonisten den bunt poppigen Stil der Sixties. Doch von sexueller Befreiung und Emanzipation des Sinnlichen keine Spur. Sie klettern und kraxeln in den verschiedenen Ebenen ohne Unterlass umher, eher auf der Flucht voreinander, als auf der Suche nacheinander. Das geschieht ohne erkennbares inszenatorisches Ziel: reine Positionswechsel. Eine Liebesszene wird verweigert, weder Liebesrausch noch Entgrenzung, auch vom Dirigat her: zweimal dürfen Tristan und Isolde dezent Händchen halten. Damit es am Ende aber durch König Marke etwas zu 'ertappen' gibt, müssen sie sich dann doch einmal in die Arme fallen, was König Marke aber nicht sonderlich zu tangieren scheint. Schön im zweiten Aufzug die Warnrufe der Brangäne, die sich ungewohnt lasziv im roten Venusgewand räkelt.

Der dritte Aufzug geriet musikalisch am besten. Nach einer schön gestalteten musikalischen Einleitung zeigte Richard Decker - Tristan liegt verwundet in einem kleinen Nachen - noch überraschende Reserven für die Fieber- und Sehnsuchtsphantasien des dritten Aktes, die allerdings nie die erforderlichen Extreme erreichten. Wieder war es Kurwenal, der die Szene belebte, was natürlich die Balance des Personals völlig durcheinander wirft. Im dritten Aufzug scheint das Ideenreservoir Pountneys offenbar endgültig versiegt. Die Fieberszenerien, das Freundschaftsverhältnis Kurwenals und Tristans, die Begegnung Isoldes mit Tristan, die Auseinandersetzungen und Kämpfe bleiben weitgehend uninszeniert. Kurwenal stirbt dann eben einfach so. Unplausible Abtritte durch den hinteren Bühnenvorhang (eine Wellenszene auf ihm stellt das Meer vor) und der Auftritt Isoldes, Brangänes und König Markes mit Gefolge aus dem Bühnenboden des Burggartens zeugen von erschreckend mangelnder Liebe zu Detail und Feinschliff. Was einen am Ende dann aber versöhnlicher stimmte, war ein berührender Schlussgesang von Annalena Persson.

'Schreckliche Pein' aber nicht nur bei Tristan. Als reichlich siech erwies sich auch das Publikum in der ausverkauften Kölner Oper. Wie so häufig an diesem Haus: je leiser die Musik, desto rücksichtsloser wird gehustet. Schon die Ouvertüre wurde rücksichtslos gestört - und dann kein Ende bis zum Liebestod. Die Kölner Philharmonie hat sich auf das respektlose Publikum schon seit über zwei Jahrzehnten eingestellt und lässt sich über einen Sponsor kontinuierlich Hustenbonbons fürs kränkelnde Publikum finanzieren. Im Opernhaus gibt’s hier noch dringenden Handlungsbedarf.

War die Inszenierung nicht sonderlich anregend, so war es doch das Beiprogramm. Einer der interessantesten Wagner Experten unserer Zeit, Dieter Borchmeyer, hielt am Sonntag vor der Premiere einen sehr weit in die Stoffgeschichte vordringenden, so facettenreichen wie inspirierenden Einführungsvortrag, der seine jahrzehntelangen, immer wieder um neue Aspekte erweiterten Forschungen zum Tristan in der neuesten Fassung vorstellte. In einer ungewöhnlich großzügigen Geste stellt er den umfangreichen Text den Wagnerfreunden kostenlos auf der Homepage der Oper Köln zu Verfügung. Herzlichen Dank!

http://media.buehnenkoeln.de/materialien/Borchmeyer_Dieter_Tristan_Vortrag.pdf

Dirk Ufermann

 








 Fotos: © Klaus Lefebvre