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Fakten zur Aufführung 

ROTTER
(Torsten Rasch)
23. Februar 2008 (Uraufführung)

Oper Köln


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Geschichtsstunde

Nach dreieinhalb langen Opernstunden spendiert das Kölner Premierenpublikum für „Rotter“ einen Riesenbeifall – und man fragt sich, woher die Menschen soviel Geduld hergenommen haben, eine so ausgedehnt lange Unterrichtseinheit in jüngerer deutscher Geschichte über sich ergehen zu lassen.

Nichts anderes ist die neue, jetzt uraufgeführte Oper des 1965 in Dresden geborenen Komponisten Torsten Rasch. Genauer: ein Werk über das Leben des ewigen Mitläufers Rotter, der sich erst den Nazis, dann den Machthabern in der DDR andient, darin seinen Lebenszweck sieht und am liebsten noch über seinen Tod hinaus weiter ein solide funktionierendes Rädchen sein möchte.

Katharina Thalbach lieferte das Libretto zu „Rotter“, Grundlage ist das gleichnamige Schauspiel, das Thalbachs Lebensgefährte Thomas Brasch 1978 schrieb. Obwohl die Mitläufer-Thematik und alle daran hängenden angerissenen Probleme sicher als zeitlos zu betrachten sind: sie im Jahre 2008 in der nun wirklich überlebten Form eines politischen Lehrstücks zu präsentieren, wirkt doch ziemlich antiquiert. Daran liegt es sicher auch, dass „Rotter“ kaum einmal anzurühren vermag. Mitleid mit dem einsamen Metzgergesellen, Abscheu vor seinen Taten - in Köln gelangt wenig davon über die Rampe. Stattdessen ein Gang in Sieben-Meilen-Stiefeln durch ostdeutsche Geschichte mit Aufbau Ost Anno 1945, Juni-Aufstand 1953, Mauerbau 1961, Ordensverleihung „Held der Arbeit“...

Thalbach arbeitet akribisch, lässt keine der vielen, vielen Personen auf der Bühne unbeachtet. Keine Frage, das ist virtuos und absolut professionell. Leider wählt sie aber auch sehr abgegriffene Bilder, die man so oft schon gesehen hat, dass sie nur noch ermüden. Die ewig gleichen blonden BDM-Mädels, dann der Viehwaggon mit abtransportierten Juden, die aus einer Luke die Hände recken, die strahlendblauen FDJ-Uniformen, Kindersoldaten – sogar der Schäferhund, der mal an der Nazi-, mal an der DDR-Leine läuft, trippelt über die Bühne.

Realismus pur wie im Dokumentarfilm, eigentlich ein einziger großer, etwas verstaubter historischer Bilderbogen. Den Menschen Rotter und seine tiefen Gefühle kann man mühelos aus weiter Distanz heraus betrachten. Nähe schaffen auch die Szenen aus Rotters privatem Leben nicht. Lediglich Rotters Antipode, der Systemverweigerer Lackner gewinnt menschliche Züge und Figurentiefe.

Die Musik: eine artifizielle, ziemlich komplexe Sache, für die das Gürzenich-Orchester eine Riesenbesetzung mobilisiert. Liegende Klangflächen, gewaltige dynamische Eruptionen, extrem aufgespreizte Frequenzen vom Kontrafagott bis zur Piccoloflöte, und immer wieder Romantizismen, lyrisch und zart. Hermann Bäumer, Generalmusikdirektor in Osnabrück und in dieser Produktion Gast am Kölner Dirigentenpult, meistert eine immense Koordinationsarbeit zwischen Graben und Bühne, auf der vortrefflich gesungen wird.

Hans-Georg Priese ist ein Rotter voller Energie, Albert Bonnema gibt den Lackner mit großer Selbstsicherheit. Ein ganz fantastisches Portrait zeichnet Regina Richter von Rotters Ehefrau Elisabeth, mit einem Mezzo, der spielend in höchste Höhen findet. Auch kleinere Rollen (das Libretto erfordert 19 Personen!) sind bestens besetzt, so zum Beispiel mit Julia Giebel als Fräulein Berthold, die in Erinnerungen an ihren Schüler Lackner schwelgt.

Ob Raschs Opernneuling Eingang ins zeitgenössische Repertoire findet, wird sich zeigen.

Christoph Schulte im Walde

 

 










Fotos: Klaus Lefebvre