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Fakten zur Aufführung 

I AM A MISTAKE
(Fabre/Rihm/Akerman)
15. Dezember 2007

Köln Philharmonie


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Kunst als Vorbereitung auf den Tod

"Ich betrachte meine Kunst auch als eine Vorbereitung auf den Tod": Jan Fabres Untersuchungsfeld über Sterben und Tod hat jetzt ein kammermusikalisches Format gefunden. Nach dem großen Requiem für eine Metamorphose, in Deutschland im Rahmen der RuhrTriennale 2007 in der Bochumer Jahrhunderthalle aufgeführt, tourt Fabre jetzt mit seinem Antwerpener Tanzensemble Troubleyn ("treu bleiben"), dem Freiburger Ensemble Recherche und der Schauspielerin Hilde Van Mieghem mit einem Stück über die genussvolle Selbstzerstörung durch die großen Konzertsäle Europas: I am a Mistake. Es ist ein Auftragswerk der im Verbund ECHO (European Concert Hall Organisation) zusammengeschlossenen Konzerthäuser und kam neben Köln in Athen, Wien, Amsterdam, Birmingham, Luxemburg, Brüssel und Paris zur Aufführung.

Ausgangspunkt des Abends ist der Text Fabres Ik ben een fout aus dem Jahre 1988, auf Deutsch vollständig: "Ich bin ein Fehler. Monolog für einen eingefleischten Raucher. Für Luis Buñuel." Es ist ein mantraähnlich vorgetragener innerer Monolog, voller Selbstbezüglichkeit und Ausdruck eines ungebändigten (Künstler-)Egoismus. Das glühende Bekenntnis zur eigenen Fehlerhaftigkeit, ja die Kür des Fehlers zum Kern des (Künstler-)Ichs ist zugleich ein Protest gegen die Effektivität des gesellschaftlichen Lebens, gegen Profitstreben, Regelungswut und soziale Kontrolle. Daher ist der Abend kein oder nur indirekt ein Beitrag zur aktuellen Debatte um Rauchen und Rauchverbote, vielmehr analysiert er das Selbstverhältnis des Rauchers zu sich – "Ich bin ein Fehler, weil ich selbst mein Erzfeind bin" - und den Prozess der bewussten Selbstzerstörung: "Ich bin ein Fehler, weil ich keine Angst habe vor dem Tod". Der Zustand des noch im Leben-Seins und dem Tod gelassen Entgegensehens, nachdem man ihn als Raucher selbst hervorgerufen hat – "Ich habe Krebs. Kehlkopfkrebs" –, ermöglicht dem monologisierenden Ich eine Attitüde, die sich mal kokett, mal trotzig, mal reflexiv, doch immer auch genussvoll äußert. Wenn man den Tod akzeptiert, gedanklich antizipiert, so scheint es, blickt man anders ins Leben, intensiviert sich der Lebensgenuss und die Lebensintensität. Jan Fabres Requiem für eine Metamorphose zeigt den finalen Zeitpunkt des Abschieds, I am a Mistake betrachtet den Zeitraum davor, das merkliche Einsetzen der Krankheit zum Tode und das bewusste Wahrnehmen, Gestalten und Genießen der verbleibenden Zeit: "Ich bleibe treu bei diesem Genuss der mich versucht zu töten."

Jan Fabre gewann Wolfgang Rihm, zu dem Text eine Ballettmusik zu schreiben: Seraphín III. Es ist komponiert für 14 Musiker, zwei Baritone ('instrumental' eingesetzt nur für Vokallaute, nicht für den Fabre-Text) und eben für eine Sprecherin, deren Rezitation erst im letzten Drittel des etwa 70-minütigen Werkes einsetzt. Es ist ein typisches Rihm-Stück, körperreich, sinnlich, expressiv, voller dynamischer Kontraste, doch eher abstrakt als narrativ, vom Rihm-erfahrenen Ensemble Recherche unter der Leitung von Lucas Vis in der gewohnten Perfektion sicher musiziert.

Vor dem Kammerorchester dann die Szene auf dem Konzertpodium, zeitlich schwerpunktmäßig von Troubleyn ausgefüllt. Der Transformationsprozess des Alterns und Vergehens wird augenfällig in der Besetzung. Die vier jungen Tänzerinnen, alle noch unter 30 - Sylvia Camarda, Manon Avermaete, Eleonora Mercatali, Tawny Andersen -, rauchen während ihrer grandiosen Darbietung eine Zigarette nach der nächsten, die Sprecherin, die ebenfalls kettenrauchende Schauspielerin Hilde Van Mieghem, ist deutlich älter, abgelebt, verbraucht, die Stimme ist rauchig-herb, merklich zigaretten- und alkoholgegerbt – und genau darin liegt ihr Reiz und ihre Überzeugungskraft. Die Choreographie besteht aus einzelnen phrasenhaften Szenen, in denen die Tänzerinnen das Rauchen zelebrieren und auskosten, oft additiv wiederholt oder gedoppelt, Rauchen in allen Variationen, somit immer auch zugleich Akte dargebotener aktiver Selbstzerstörung. Gesten wie das gelangweilte Blättern in Modezeitschriften und ihre anschließende Zerstörung oder Invektiven gegen Bush, Bin Laden oder Philip De Winter, deren Abbilder mit glühenden Zigaretten etwas angekokelt werden, bilden einen heiteren, ironisch-kritischen Konnex zur Jetztzeit.

Chantal Akermans expressive Schwarz-Weiss Filme im Stil der Fifties, meist als Dreierprojektion, oberhalb von Tanz, Rezitation und Orchester geben der Szene ebenfalls konkrete Bezüge. Präzise beobachtete Situationen zeigen die Tänzerinnen in ihrem Antwerpener Ambiente, in Kneipen, auf der Strasse, in einer Kirche, allein wartend oder gesellig – allen Szenen gemein ist die filmische Analyse des Rauchens, der Motivation, der Lust, der Gestik und der Atmosphäre.

Das konzentrierte Publikum reagierte am Ende ausgesprochen positiv. Erschütternd allerdings der zahlenmäßig magere Zuspruch des Rheinlands. Köln als Stadt der Neuen Musik und auch des zeitgenössischen Tanzes – tempi passati.

Dirk Ufermann

 


Fotos: Stefanos