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Fakten zur Aufführung 

Cecilia Bartoli: SACRIFICIUM
13. November 2009

Philharmonie Köln


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Der Gesang der Unglückseligen

'In Italien gibt es barbarische Väter, die die Natur dem Profit zum Opfer bringen und ihre Kinder dieser Operation – nur zum Vergnügen wollüstiger und grausamer Leute, die sich nicht entblöden, immer wieder nach dem Gesang jener Unglückseligen zu verlangen. (...) laßt, wo immer es geht, die Stimme der Entrüstung und Menschlichkeit erschallen, die sich laut erheben möge gegen diesen schändlichen Brauch.' Die Schändlichkeit, so Jean-Jacques Rousseau in einem Artikel in seinem Dictionnaire de musique 1764 weiter, habe auch keinen großen künstlerischen Vorzug: 'Im übrigen wird der Vorteil einer schönen Stimme bei den Kastraten durch viele andere Verluste aufgehoben. Diese Menschen, die so schön, aber ohne Wärme und Leidenschaft singen, sind auf der Bühne die langweiligsten Darsteller der Welt.' Was aus der rationalistischen Perspektive des aufgeklärten Frankreich fragwürdig und abstoßend erscheint, war in Italien, aber auch darüberhinaus über einen Zeitraum von 200 Jahren hinweg en vogue. Zeitweise, so historische Quellen, wurden bis zu 4000 Knaben jährlich vornehmlich aus dem armen Süden Italiens ihres Geschlechtes beraubt in der Hoffnung, sie nach einer gelungenen musikalischen Ausbildung und in der finanziellen Obhut ei nes Mäzens zu Ansehen und Wohlstand zu bringen. Das Opfer (sacrificium) lohnte sich allerdings nur für die wenigsten; bei einigen scheiterte schon die Operation und die Mehrzahl musste in Bettel- oder Kirchenchören ihr Dasein fristen. Und wer den Schaden hat, braucht bekanntlich für den Spott nicht zu sorgen. Eine der Ursachen für den Bedarf an männlichen Sopranen war das päpstliche Gesangsverbot , das den öffentlichen Auftritt von Frauen unterbinden wollte, in Kirchen war er ohnehin nicht erwünscht.

Wenn sich Cecilia Bartoli Arien der Neapolitanischen Schule des Kastratengesangs widmet, folgt sie zwar einerseits einem durch die Barockwelle entstandenen, langjährigen und oft bedienten Trend, erfüllt ihn aber auf ihre Weise. Wie schon bei einigen ihrer vergangenen 'Projekte' konzentriert sie sich nicht auf die wirkungsvollen Highlights des Repertoires, sondern bemüht sich um dessen stete Erweiterung. Sie konzentriert sich auf das Umfeld des neapolitanischen Komponisten und Lehrers Nicola Porpora. Die mehrheitlich kaum publizierten Arien ihres Recitals und der begleitenden CD-Produktion entstanden etwa 1723 bis 1746, sind fast in Gänze musikarchäologische Funde Bartolis und ihres Teams in Archiven oder Bibliotheken in Berlin, Brüssel, Hamburg, London, Neapel oder Wien. Nicola Porpora bildete unter vielen anderen die beiden legendären Kastraten Farinelli und Caffarelli aus, aber auch der Dramatiker und Librettist Metastasio oder die Komponisten Hasse und Haydn gehörten zu seinen Schülern. Porpora, Carl Heinrich Graun, Antonio Caldara, Giuseppe Sammartini sind die bekannteren Komponisten des Bartoli-Liederabends, Francesco Araja, Riccardi Broschi, Leonardo Leo, Francisco Maria Veracini und Leonardo Vinci dürften hingegen nur den wenigsten geläufig sein.

Bestens aufgelegt und gut gelaunt stürzt sie sich schwungvoll in die für Caffarelli komponierte Arie Come nave in mezzo all 'onde aus Porporas Oper Siface. Das Potential der Stimme scheint unerschöpflich, ihre Emphase und ihr Engagement für die randständigen Stücke ist exzeptionell. Endlose, wahrhaft atemberaubende Koloraturen wie in der Demetrio-Arie Cadrò, ma qual si mira aus Berenice von Francesco Araja sind so souverän und brillant ausgeführt, als bedürfe es nicht der geringsten Anstrengung. Als Bühnentier mit einer überwältigenden Präsenz gelingt ihr jedes Stück als vollendete musikalische Miniatur bravourös, so intelligent gestaltet wie emotionsgesättigt. Kontrastreiche Stimmungswechsel von der vokalen Attacke hin zur melancholischen Innerlichkeit sind subtil, emotional glaubhaft und ausdrucksstark ausgeführt, es gibt offenbar auch technisch keinerlei Schwierigkeiten bei den zahlreichen Registerwechseln. Vermutlich sei es, so Bartoli im Programmheft, die schwierigste Musik, die sie je gesungen habe – und es ist eben die größte Kunst, das Schwierigste so zu präsentieren, als sei es ein leichtes. Geschmacksache ist Frau Bartolis Kostümierung im Stil des 18. Jahrhunderts, gestaltet von Agostino Cavalca, die vielleicht der Spielfreude der Sängerin entgegenkommt, dem Abend aber auch eine bisweilen ironische, kölsch-karnevaleske Komponente verleiht.

Die Musiker von Il Giardino Armonico unter der Leitung von Giovanni Antonini, Partner auch auf der gerade erschienen CD, sind souveräne und gleichwertige Musiker, es ist kein Hintergrundorchester, wie so oft bei vielen Solistenabenden. Antonini und das Barockensemble Il Giardino Armonico, deren letztes Konzert in der Kölner Philharmonie einem italienischen Schneesturm zum Opfer fiel, wählen überwiegend halsbrecherisch rasante Tempi, die die Bartoli locker pariert. In Sinfonien, Ouvertüren und Konzertausschnitten haben sie auch immer wieder Gelegenheit, ihre virtuose, partiell auch etwas aufgekratzte Weise der barocken Klangrede darzubieten, wobei Antonini zusätzlich zum Dirigat auch als phänomenaler Flötist in Erscheinung tritt. Auf Bartolis Konzertreise durch Europa, die bis Mitte 2010 dauert, wird sie neben Il Giardino Armonico vom Zürcher Ensemble La Scintilla und dem kammerorchester basel begleitet.

Langdauernde Ovationen schon in der Konzertpause, nach einem langen Abend ist das Publikum der ausverkauften Kölner Philharmonie dann vollends aus dem Häuschen – was hier wirklich nicht oft geschieht.

Dirk Ufermann