|
Marc Piollet interpretiert mit dem
Orchester des Staatstheaters Kassel den hoch dramatischen "Subtext" des
"Seelendramas", Massenets Komposition wird nicht als gefühlvolle "Tonmalerei"
präsentiert.
Wolfram Mehring sieht die gesellschaftlich bedrängte Charlotte als leidende
Zentralfigur; sie sucht Schutz in religiösen Riten, von denen sie zugleich
bedroht wird: sie hat keine Chance zur Emanzipation - schon gar nicht
von Werther, der sie nur als Projektion seiner Gefühle erleben kann. Mittel
des expressiven Ausdruckstanzes verstärken die mitleidenden Assoziationen
des Publikums.
Wolf Münzners klar konstruierte "monumentale" Bühnenräume unterstützen
diese Ambivalenz düster hermetischer Räume, bedrängende Kostüme mit visionären
Ausblicken in die Renaissance-Religiosität.
Michaela Mehring singt und spielt ungeheuer intensiv; Alfred Kims Werther
ist darstellerisch eine brillante Außenseiter-Repräsentation, lässt hinter
dieser Interpretation seine stimmlichen Möglichkeiten ein wenig zurückbleiben.
Das Haus ist nicht ausverkauft: die biestigen Kasselaner bestrafen offenbar
mit Verweigerung einen ungeliebten Intendanten; die anderen gehen atemlos
mit, identifizieren sich und bejubeln herzlich. Vielleicht wird den documenta-Besuchern
das Licht aufgehen! (frs) |
|