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Fakten zur Aufführung 

PETER GRIMES
(Benjamin Britten)
13. Juni 2008
(Premiere: 7. Juni 2008)

Staatstheater Kassel


Points of Honor                      

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Hoffen auf ein bisschen Glück

Der Vorhang hebt sich schon, bevor die Musik beginnt. Er gibt den Blick frei auf die fast leere Bühne. Ein Tisch, eine Handvoll Stühle, eingefasst von meterhohen fahlgrauen Plastikplanen – kein Zweifel: eine Verhörsituation. Peter Grimes sitzt schon als Beschuldigter auf seinem Platz, fingert gelangweilt an seinem Schlüsselbund herum. Allmählich kommen die anderen aus dem Dorf, die miterleben wollen, was Grimes zu sagen hat; die gegen ihn aussagen werden, weil er in ihren Augen schlicht ein Außenseiter ist.

Paul Zollers Bühne im Prolog der Britten-Oper ist trostlos. Und das wird auch nicht viel besser im Laufe der kommenden drei Akte. Erst ist Aunties Kneipe zu sehen, später steht die miefige Kleinstadt, in der Peter Grimes und die übrigen Dorfbewohner hausen, en miniature auf einer großen schrägen Fläche: unkommode Häuser, in denen man nicht wirklich wohnen möchte.

Regisseur Lorenzo Fioroni verortet die brutale Geschichte nicht eindeutig in ein Fischerdorf. Typen wie Peter Grimes gibt es auch ganz anderswo. Und überall tragen sie das Stigma, sich außerhalb der hehren Gemeinschaft zu stellen. Wobei das „Hehre“, das, woran das Kollektiv sich zu halten vorgibt, so „hehr“ gar nicht ist. Pfarrer, Apotheker, die reiche Witwe: sie alle verstoßen gegen jene Regeln, von denen sie behaupten, sie zu befolgen. Eine verlogene Gesellschaft, in der Peter Grimes keine Chance (mehr) hat. Er ist ein Einsamer – und so zeigt Fioroni ihn auch, wenn sich die schräge Spielfläche dreht und sich auf der Rückseite eine klaustrophobisch enge Behausung den Blicken öffnet. Hier versucht Grimes mit seinem neuen Lehrjungen das Tagesgeschäft zu bewältigen – auf dem Weg zu einem bisschen Glück. Ziemlich packende, kraftvolle Bilder!

Wolfgang Schmidt lebt die Titelrolle - durch und durch. Er lässt seinen mitunter ungezügelten Gefühlen freien Lauf, muckt herrisch auf, verströmt traurige Melancholie, wenn er seine Vision von der Geborgenheit und Friedlichkeit einer Kleinfamilie formuliert. Schmidt hat den Peter Grimes erst im März 2008 an der Dresdener Semperoper als Rollendebut gegeben – in Kassel überzeugt er angesichts unversiegender Kraft. Hin und wieder wünscht man sich von ihm ausgesprägtere lyrische Momente.

Janet Harach ist eine Ellen Orford mit ebenmäßiger, sehr ausgeglichener Stimme, die sich rührend um Grimes kümmert. Stephen Owen macht als Kapitän Balstrode eine ausnehmend gute Figur. Sein Bariton strömt elegant und hat Substanz. Lona Culmer-Schellbach füllt mit ihrem Alt nicht ganz den Raum, spielt die Rolle der Kneipenwirtin Auntie aber ausgezeichnet. Deren beiden Nichten sind mit Nicole Chevalier und Karen Frankenstein bestens besetzt – zwei Gören, die gern mal ihre Dienste anbieten, auch dem Pfarrer (Young-Hoon Heo mit seinem tadellosen Tenor). Dem Rechtsanwalt Swallow gibt Mario Klein mit seinem schwarzen, raumgreifendem Bass die notwendige Seriosität. Alle übrigen Solisten fügen sich rund und harmonisch ins Ensemble ein: János Ocsovai als methodistischer Eiferer Bob Boles, Barbara Cramm als Mrs. Sedley, Geani Brad als Ned Keene, Derrick Ballard in der Rolle des Hobson und Frank Thormann als Dr. Crabbe. Nicht zuletzt die beiden Lehrjungen: Daniel Wettlaufer und Maik Werner sind ganz zum Schluss als blutüberströmte Auferstandene wieder präsent.

Patrik Ringborg steht am Pult des Staatsorchesters Kassel, das mit bewundernswerter Detailverliebtheit zur Sache geht. Brittens Partitur ist reich an Farben, an Emotionen, an Ausbrüchen. All diese Facetten werden transparent und bis ins Detail hinein genau gearbeitet. Maßstabsetzend!

Im Publikum neben dem „normalen“ Kasseler Abo-Publikum Hundertschaften von Experten: der Deutsche Bühnenverein hält seine Jahreshauptversammlung in Kassel ab. Theaterintendanten und Direktoren, Orchesterchefs und Kulturpolitiker – sie lassen sich von der suggestiven Kraft dieser Inszenierung berühren und stecken in der Pause, auch nach Ende der Vorstellung ihre Köpfe zusammen. Große Diskussionen – großer Befall.

Christoph Schulte im Walde

 






Fotos: Dominik Ketz