Opulentes Barock
Bewundernswert das Wagnis, begeisterte Zustimmung der Erfolg: Händels Radamisto „Original Barock“ ohne elektrisches Licht, aber in imaginierendem Kerzenschein; Kulissen in der Kunst perspektivischer Bühnenmalerei; auftauchende standardisierte Bühnenelemente mit Versenkungen ;opulente Kostüme in schwelgendem Samt und gleißender Seide; majestätisches Schreiten, unterstützt durch elaborierte Gestik: Das sind die äußerlichen Ingredienzien authentischer Barock-Atmosphäre - und so funktionierte Händels Bühnengeschehen im 18. Jahrhundert, so wird es in den „historischen“ Theatern z. B. in Bad Lauchstädt, Drottningholm oder Gotha viel zu selten präsentiert wird. Karlsruhes Händel-Festspiele sei uneingeschränkter Dank für diese Demonstration!
Aber auch barocke Oper ist nicht nur optische Ästhetik – ist Musik und Gesang, kalkulierter Tanz. Die Deutschen Händel-Solisten – als Orchester der Festspiele - lassen hoch kompetent einen luziden Klang hören; Peter van Heyghen leitet sehr konzentriert, agiert sensibel-fordernd, pointiert die Einsätze der Instrumenten-Soli, koordiniert Orchester und Sänger ausgesprochen integrativ – entwickelt einen Klang mit allen Implikationen der affekt-bezogenen Händel-Musik.
Das Karlsruher Ensemble geht auf in der barocken Bühnen-Ästhetik, agiert souverän-genregerecht – und beherrscht den vibratolosen, koloraturensicheren Barock-Gesang in nahezu makelloser Perfektion. Tamara Gura gibt dem hochemotionalen Radamisto überzeugend-differenzierenden Klang; Delphine Galon ist eine stimmlich hoch flexible Zenobia mit beeindruckend emotionalisierenden Tiefen ihres bewegenden Timbres; Kirsten Blaise verleiht der ambivalenten Polissena ausdrucksstarke Einfühlsamkeit mit kalkuliertem Differenzierungsvermögen; Mika Kares gelingen beachtliche Bass-Variationen als gefährdeter König Farasmane; Patrick Henckens interpretiert einen rache-lüsternen Tiridate mit hinreißend flexiblem Klang; Berit Barfred Jensen verleiht dem schillernd-amourösen Fraarte differenzierende stimmliche Interpretationskraft; Ina Schlingensiefen vertritt den emotional gesteuerten Tigrane mit einer bewundernswert flexibel-akzentuierenden Stimme.
Christian Floeren ist die nachvollziehbare barocke Szene zu danken: bezwingend historisch-nachvollziehbare Architektur, immense Wirkung auf die aufmerksam folgenden Zuschauer.
Sigrid T’Hooft inszeniert im sensibel-plakativ nachempfundenen Stil der so spektakulären Händel-Zeit: fokussiert vor allem auf die konstituierenden „Affekte“, lässt den Krieg der Thrakier und Armenier zur pseudo-historisierenden Folie werden, lässt sich auf die Ambivalenzen der „Tugenden“ ein – und dokumentiert überzeugend sowohl die Suche nach dem barocken ethischen „Ideal“ als auch die konkret-moralischen Ambivalenzen.
Das Publikum in Karlsruhe reagiert wie – anzunehmen - das Publikum zu Händels Zeiten: kulinarisch orientiert. Die genussvolle Akzeptanz der optischen Elemente, der zauberhaften Musik, des stimulierenden Gesangs bestimmen das Wohlfühlen im Auditorium. Da gibt es nur einige Ewig-Nörgelnde, die sich nahezu zwanghaft dem Faszinosum zu entziehen versuchen.
Prognose: Es wird auch Anno 2011 diesen Radamisto in Karlsruhe zu bewundern geben!
Franz R. Stuke
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