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Fakten zur Aufführung 

MANON LESCAUT
(Giacomo Puccini)
29. März 2008 (Premiere)

Badisches Staatstheater Karlsruhe


Points of Honor                      

Musik

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Tristesse d’amour

Dominik Neuner erzählt in seiner Karlsruher Puccini-Inszenierung der Manon Lescaut eine schlüssige Geschichte vom je beiderseitigen Angewiesensein, Verirrungen, Ausschließen und vom (einander) Verlorengehen. Plakativ auf die nach außen gewölbte Fläche projiziert, wenn sich zu Anfang der vier Akte dem Publikum der Rücken des Bühnenbildes zudreht. Er widersteht der Versuchung einer gefälligen Abbé-Prévost-Rezeption, treibt die Intention der Geschichte eher in Richtung Flaubert als Dumas. Es ist die Schwäche der Männer, die Manon alleine lässt bei ihrem Experiment, Frau zu sein. Während diese in ihren Rollen verharren, Liebhaber oder Existenzsicherer, leistet sich Manon Brüche und Disparatheiten, Widersprüche und Aufbrüche. In Ingmar Bergmannscher Subtilität lässt Neuner bei aller Begeisterung über die Musik eine schwelende Beklommenheit aufkommen (die nicht jedermanns Erwartungshaltung entspricht, wie die Publikumsreaktion am Ende belegt).

Die Welt ist trist, in der sich das Drama bewegt. Und immer geht es Neuner um die Rollenfindung. Die liebeskoketten Studenten in Amiens, denen (noch) nichts heilig ist in ihrer Brunftgockelei und die ihr juveniles Balzverhalten hinreißenden Fellini-Nonnen vorführen. Im reichen Pariser Haushalt des Geronte ein Tanzlehrer und seine Eleven, die den pas de deux in ihrer Seele vollführen und beide Geschlechter leben, eine Ahnung aufkommen lassen, dass nichts so ist, wie es den Anschein hat. Staatlich bestallte Tugendwächter, Anklagende und Wärter, deren Lederfetischismus das mörderische Potenzial männergesteuerter Rechtssysteme andeutet. Und das in Karlsruhe! Manon, die drei aufgezogene goldene Perückenköpfe zur Auswahl vor sich hat und damit zum eigenen Paris wird. Wenn am Ende unzählige aufgespannte Regenschirme im Sand der amerikanischen Wüste liegen, das Sterben Manons begleiten, symbolisieren sie nicht nur den ausgebliebenen Regen. Sie zeigen Mann und Frau als das, was sie grundsätzlich sind: die sich vor dem schützen wollen, wonach sie am meisten dürsten.

Roland Aeschlimann konstruiert ein beeindruckendes Bühnenbild für die Drehbühne, das an New Yorks Guggenheim-Schnecke erinnert. Innenleben und Außenleben, existentielle Auf und Abs, die Mehrdimensionalität von Entscheidungen und Entschlüssen, die Korrelation alles Geschehens, Verschränkungen und Offenheiten, Schlupfräume und hinter dem orphischen Drehbühnenrad das bedrohliche Dunkel, verdecktes und offenes Agieren, Menschen, die ausgeworfen werden und die unerwartet auftauchen können, alles lässt sich übertragen und ausdrücken durch diese qualitativ herausragende Raumgestaltung. Und verschieben, so dass am Ende vom Kleinen auf das Große geschlossen werden kann (das rabbinische Denkmuster schlechthin). So weiß wie Ibiza, je nach Situation eingefärbt von Gerd Meier in tiefer Farbsymbolik.

Andrea Schmitt-Futterer, in dieser Saison bereits am Nationaltheater Mannheim erfolgreich als Rossini-Ausstatterin, leistet erneut sehenswerte Arbeit. Schwarz als Grundfarbe, Leder als vorherrschendes Männermodenmaterial, rote Handschuhe der Manon mit dreifacher Symbolwirkung: Liebe, Schuld, Tod. Ein Kleid der Manon, das alle erotischen Fantasien bedient. Kongenial.

Das Orchester unter Leitung von Anthony Bramall mitreißend, expressiv, zwischen dramatischer Wucht, ergreifenden lyrischen Passagen, naturalistischem Lautmalen, großer Puccini!

Barbara Dobrzanska eine wunderbare, vom ersten Augenblick an präsente, seelenvolle Manon Lescaut, die schauspielerisch alle überragt und überragend singt. Ihre Stimmbänder transportieren große Gefühle, die Piani klar und pointiert, die Forte in einer ergreifenden Färbung. Weltklasse! Keith Ikaia-Purdy in der Rolle des Des Grieux zeigt eine wunderschöne, höchste Höhen meisternde Tenorstimme, im Ausdruckswechsel besteht noch hier und da Spielraum, im Spiel kommt seine Gehemmtheit gegenüber dieser großen, nicht nur schönen Frau überzeugend zum Ausdruck. Auch er bringt eine tief beeindruckende Leistung.

Alle weiteren Rollen sind gut bis sehr gut besetzt: Armin Kolarczyks eleganter Bariton gibt dem Lescaut eine ansprechende Charakteristik, Ulrich Schneider überzeugt mit willensschwangerem Bass als Geronte, Matthias Wohlbrechts feine, strahlende Tenorstimme gibt der Rolle des Edmond ihr Gewicht. Andreas Heideker konterkariert sein feminines Outfit mit männlich zugreifender Stimme. Lukas Schmid überzeugt als Wirt und Kommandant.

Einsatzgenau, stimmmächtig, ausdrucksstark, spielfreudig der Badische Staatsopernchor, angereichert durch den Extrachor und die Badische Staatskapelle wurde durch Carl Robert Helg und Myoung-Uh Ryu vorzüglich eingestellt.

Das Publikum: Es reicht für acht Minuten Applaus, keine standings. Besonders bejubelt Barbara Dobrzanska und Keith Ikaia-Purdy. Das Regieteam wird von einer qualifizierten Minderheit ausgebuht, von einer etwa gleich großen bejubelt, ansonsten mit freundlichem Applaus bedacht. Karlsruhe bleibt ein ungemütliches Pflaster für ungewöhnliche Produktionen. Umso mehr ist diese hervorragende Inszenierung zu loben.

Frank Herkommer

 






Fotos: Jacqueline Krause-Burberg