Fundus   Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links     Facebook     Partner von DuMont Reiseverlag  
     

Fakten zur Aufführung 

IL TROVATORE
(Giuseppe Verdi)
22. September 2007 (Premiere)

Pfalztheater Kaiserslautern

Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Chat-Faktor


Rezensionen-Archiv

Aufführungen nach Name
Aufführungen nach Ort


Tickets

(0631) 36 75 209

 

zurück       Leserbrief

Zwischen Dur und Müll

Für Aufregung sorgendes, aufregendes Regietheater, an dem sich die Geister scheiden: Bruno Berger-Gorski inszeniert am Pfalztheater Kaiserslautern stringent einen hochpolitischen Troubadour, den er als Stichwortgeber für ein gewollt anstrengendes, mitunter verstörendes Weltbürgerkriegsszenario benutzt, das die Antagonismen zwischen „denen da oben“ und jenen „im Müll“ in einer globalisierten Welt widerspiegelt. Unten das Volk als Opfer oder oben als verrohter Handlager, Subjekt der Geschichte immer dort, wo es Widerstand leistet. In Aufsässigkeit und List erhebt es sich zum letzten utopischen Hoffnungsträger, der nichts zu verlieren hat als seine fast- food Ketten. Beeindruckend verdichtet, als der sonst oft folkloristisch zurecht gestutzte Zigeunerchor seine „Schlüsselrevolution“ durchführt und den Takt der Revolte aufrührerisch anschlägt. Berger-Gorski birgt und bewahrt damit ein utopisches Surplus inmitten von Müll, Macht und Männerphantasien.

Dabei packt er die ganze Palette aus: Guantanamo und Abu Ghraib, Srebrenica und Beiruter Schicki-Micki civil war sight seeing (Foto des Jahres), RAF-Wollmützen, Vergewaltigungen en gros und en detail, groß dimensionierte SS-Brandmarkungen, glatzköpfige Frauen, die vielleicht fürs Gas geschoren wurden. Da paradieren leibhaftige Edelhunde, qualmen Zigarren, die Unterschicht plotzt unaufhörlich Zigaretten, MG-Salven zerreißen die Luft. Oldtimer tuckern über die Rampe(!).

Der Regisseur widersteht einerseits der eindimensionalen Gefälligkeit einer schwarzen Zigeunerromanze, lässt historisierende Distanz an keiner Stelle zu, erliegt andererseits gelegentlich der Versuchung zur Überfrachtung. Der Zuschauer wird in unterschwelligen Dauerstress versetzt , auch weil die linke Hälfte des Publikums durch Konstruktionsmängel im Bühnenbild höchstens die Hälfte mitbekommt. Denn während „unten“ das an sich belanglose Synchrongeschehen wabert, verpuffen oben teilweise ungesehen Spiel entscheidende Einfälle. Warum allerdings Azucena (die wunderbar präsente und überragend singende Anna Maria Dur) ein weiteres Vergewaltigungsopfer wird, bleibt im Psychodunkeln. Es riecht nach Freudianischem Fundamentalismus.

Das ist auch deshalb schade, weil die sexistische Zuspitzung (als ob sich der - nach dem zumindest vorläufigen Scheitern des Sozialismus- ewige Klassenkampf letztlich auf handliche fünfzehn Zentimeter reduziere ließe!) von der grandiosen Leistung des Orchesters, der Chöre und vor allem der Solisten ablenkt und sie letztendlich um mehr als verdiente standing ovations brachte. Eine Inszenierung zwischen (der herrlichen Anna-Maria) Dur und Müll.

Entsprechend die Kostüme (Fred Fenner) und das Bühnenbild (Thomas Dörfler). Beide zeigen sich als exzellente Könner ihres Fachs. Fenner zelebriert geradezu die Hässlichkeit real existierender Armut. Not macht ihn erfinderisch. Dass Verdis ursprünglich katholische Nonnen in buddhistischem Gewand einher schreiten, ist message : Religion bleibt in allen Ausformungen essentiell gleich - nämlich Opium fürs Volk. Zwischen der Eirenik eines Siddhartha Gautama und dem rachsüchtigen Ressentiment des Mohammed bestehen demnach nur akzidentielle Unterschiede - sich ihnen anzuschließen bedeutet Selbstvernichtung. Leonora und ihr vietnamkriegerischer Benzinkanister.

Dörfler schafft konkludente Bilder, die zutiefst beeindrucken, sich jeder Ästhetisierung der Armut verweigern. Ob es der Einsehbarkeit geholfen hätte, die obere Etage dieser Welt in Gestalt von Brücke/Brückenkopf/Wachtürmen nach vorne abschüssig zu konstruieren?

Was GMD Uwe Sandner mit dem Orchester des Pfalztheaters an diesem Abend intonierte, lässt das Pfalztheater aufsteigen in die erste Liga der Verdibühnen. Eine einfühlsame, dann wieder feurige, wuchtige, bedrängende, stets dynamische, nie übertreibende Interpretation. Der Heterogenität der Komposition entspricht eine perfekte Ausdifferenzierung.

Der von Ulrich Nolte einstudierte Chor zeigt einmal mehr phänomenale Bühnenpräsenz. Stimmlich wie darstellerisch.

Der Abend hätte ein ganz großes Ereignis werden können, wenn es alleine nach den Solisten gegangen wäre: Ein herrlicher Bariton, weit und zupackend, Walter Donati als Graf von Luna, ein jubelnder Sopran, die raffaelitisch schöne Rosella Ragatzu als Leonora, ein besonders in den hohen Tönen überzeugender Tenor, Keith Ikaia- Purdy als Manrico, ein stimmgewaltiger, glockenklarer Bass, Jon Pescevich in der Rolle des Ferrando, die liebliche Stimme der Elena Gerasimova, einzige Protagonistin in nennenswerter Rolle vom Pfalztheater, als Ines, und die grandiose, unglaublich präsente, technisch ausgereifte, stimmlich in den Bann schlagende Anna Maria Dur als Azucena.

Das Publikum: Noch nie in der erinnerbaren Vergangenheit war eine solche Polarisierung, zwischen Überwältigung und Verweigerung zu spüren. Manchmal in ein und derselben Person. Bis tief in die Nacht dauerte die erste Debatte. Sie wird anhalten, solange das Stück auf dem Spielplan steht. Wer Lust auf geistige Auseinandersetzung, große Musik und ihre großartigen Aufführenden, dazu noch auf provokantes Regietheater hat, darf diese Aufführung nicht versäumen!

Frank Herkommer