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Fakten zur Aufführung 

DIE SACHE MAKROPOULOS
(Leos Janacek)
19. Mai 2007 (Premiere)

Pfalztheater Kaiserslautern

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Ein kaltes Herz

Weil es nach Hegel der rasende Dünkel des kleinen Herzens ist, dem der widersinnige Wunsch entspringt, das Prädikat der Unsterblichkeit dem Individuum anstatt der Gattung anzuhaften, muss es eine große Seele sein, die das psychologisch stimmige Loblied auf die Finalität anstimmt. Dieses Psychogramm eines harten Reifungsprozesses ist Mareike Zimmermann in ihrer ersten Operninszenierung für die große Bühne mit „Die Sache Makropoulos“ trefflich und überzeugend gelungen. Der Mut von Intendant Reitmeier, auf eine Prophetin aus dem eigenen Land (=Haus) zu setzen, wurde belohnt durch ein bemerkenswert hohes Maß an Qualität, aus dem ein weiterer Renommeezuwachs des Pfalztheaters Kaiserslautern folgen wird.

Zimmermann erzählt, unterstützt von Dramaturg Andreas Bronkalla, die Entwicklungsgeschichte eines kalten Herzens. In Manier des Stockholm-Syndroms identifiziert es sich mit den Zielen seines Peinigers und legt sich, der männlichen Selbstüberhebung folgend, das Prädikat „Ewigkeitswert“ bei. Es folgt die mühsame und umwegreiche Reifung hin zu einer die eigene Beschränktheit und Endlichkeit als Erlösung begreifenden und annehmenden Frau. Sie, die in ihrer narzisstischen Megalomanie buchstäblich über Leichen geht, wird vom Tod angefasst und erkennt das Anrührende der eigenen Sterblichkeit. Aus falscher Identifikation wird wahre Identität, das Ich gewonnen aus dem eigenen Nichtich.

Der Inszenierung gelingt es, den betroffenen Zuschauer nicht entkommen zu lassen in eine platte Exegese, als sei nur der Jugendwahn ins Visier genommen. Wenn Janacek aus dem Mund der Marty das Hohelied der Diesseitigkeit anstimmt, auf der unabdingbaren Grundlage der Zeitlichkeit, lässt Zimmermann fein ziseliert durchscheinen, dass grundsätzlich auch Jenseitshoffnungen nichts anderes als vermessene Prolongationen des eigenen Ichs darstellen, das ewige Leben eben nicht als völlig anders, als totaliter aliter, sondern als totaliter egaliter erträumt wird. Hegels kleines Herz! Die Oper und die Inszenierung, eine Zumutung im besten Sinn - denn Mut wird abverlangt, sich der eigenen, radikalen Sterblichkeit zu stellen. Tua res agitur. Interaktion über existentielle Betroffenheit, die an diesem Abend nicht nur im Publikum spürbar ist.

Gehoben hat diesen Schatz GMD Uwe Sandner, ein ausgewiesener Kenner und Apologet das tschechischen Komponisten. Wer sein Dirigat miterleben durfte, wird noch lange von diesem Abend schwärmen. Sandner schreitet die Grenzen aus, ohne sie zu überschreiten. Er verlangt den Sängern alles ab, aber er überfordert sie nicht. Die Stimmen fahren auf schwerer See, aber die Orchesterwellen schlagen nicht über ihnen zusammen. Titanische Wucht und mitreißende Dynamik wechseln sich ab mit polkaesker Heiterkeit und feinsinnigem Humor. Anmutig und anrührend, infam und tölpelhaft, intrigant und zynisch, hybride und feig, gierig und heiter gelassen, aufbegehrend und abweisend, orgiastisch und fromm, das ganze Repertoire aus Stimmungen und Färbungen durchläuft das Orchester, fein abgestimmt, mit südlichem Feuer, preußischer Disziplin, hieratischer Hingabe. Die schmerzliche Schönheit dieser Komposition wird ergreifend ins Werk gesetzt.

Man könnte diese Oper salopp als Einpersonenstück mit zehn Zusängern charakterisieren, ohne die Leistungen auch nur eines Protagonisten damit schmälern zu wollen. Hilfreich, dass der Text dieses komplizierten Handlungsgeflechts als Kopfzeile mitläuft, obwohl das Herz, frei nach Adornos Diktum über erotische Wörter im Französischen, auch ohne Wortsinn erspüren würde, was gemeint sei. Die gebürtige Südafrikanerin Sally du Randt gibt in Kaiserslautern eine überragende Emilia Marty, phänomenal sowohl stimmlich als auch spielerisch. Unterstützt von Anke Drewes vorzüglicher, konkludenter Kostümarbeit. Existentialien, die seit den Vorsokratikern nichts von ihrer Andringlichkeit verloren haben, brauchen keine Jetztzeit. Folgerichtig spiegeln die Kostüme die Entstehungszeit der Oper in den 20ern des vergangenen Jahrhunderts wider und verhindern damit ein Auseinanderfallen von Text und Sinn.

Die Marty: Assoziationen weckend an die alternde Marlene Dietrich. Hosenanzug und Pelz. Dann wieder Vamp und Demimonde. Farah Diba - Perücke und Altersglatze. Dass die Ungleichzeitigkeit auch im Binnenverhältnis zum eigenen Ich bestehen kann, etwa in der Fetischisierung der eigenen Vergangenheit - und sei es ihrer Traumata -, diese Botschaft transportieren auf kluge Weise Videoeinspielungen ebenso wie Unterbrechungen der Bimini-Maskeraden und zeitweilige Kenntlichwerdungen der wahren Marty. Du Randt gelingt Unglaubliches: auf jung getrimmt die Aura der Morbiden, Versteinerten auszustrahlen, als uralt Sterbende jugendliche Finalität. Ein Chiasmus der besonderen Art.

Alle weiteren Protagonisten leisten ebenso vorzügliche Arbeit, stimmlich wie spielerisch. Wie bei einem fragilen Kartenhaus, würde das Werk keinen Ausfall verkraften. Die Entdeckung des Abends: Bernhard Schreurs, sonst Chorsänger, in großer Solorolle als Hauk-Schendorf. Dinner for one like! Stimmlich absolut den hohen Anforderungen gewachsen. Prächtig Peter Kovacs in der Rolle des alten Prus. Glänzend den dümmlichen Sohn darstellend Tenor Steffen Schantz. Mario Podrecnik vorzüglich als verschlagener, subalterner Rechtsanwaltsgehilfe. Katrin Sander in der Rolle der Christa ebenso souverän wie Wolfgang Schwaninger als Albert Gregor. Jörg Sändig als Anwalt auf dem hohen Niveau des gesamten Ensembles.

Die Bühne: Heiko Mönnich gelingen drei Würfe. Erster Akt: Büro des Anwalts Kolenaty. Die aufgetürmte Zeit verdinglicht sich, wird zu einer jedes Einzelleben übersteigenden, mächtigen Wand aus hölzernen Dateikästen, an die keine noch so hohe Leiter heranreicht. Dem gänzlichen Zugriff entzogen. Eingemauert von der Last der geronnenen Zeit, der unbewältigten Vergangenheit, dem Eigenleben der Justiz unterworfen, die Sache nicht nur der Makropoulos. Zweites Bild: Eine Bühne von hinten, in der Tiefe des Raums der geschlossene Vorhang. Schiebekulissen, disponibel wie die beteiligten Personen. Kontingenz und Chaos und die Erkenntnis: Das wahre Leben spielt hinter dem verhüllenden Vorhang. Backstage wird die Musik gemacht. Drittes Bild: Hotelzimmer der Anrüchigkeit. Andy Warhol steht Pate. Die Einsamkeit der austauschbaren Hotelzimmer, nur das Gesicht im Spiegel ist jedes mal ein anderes.

Frank Herkommer


Fotos: Hans-Jürgen Brehm-Seufert