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Fakten zur Aufführung 

PIMPINONE ODER DIE UNGLEICHE HOCHZEIT
(Georg Philipp Telemann)
24. März 2010 (Premiere)

Pfalztheater Kaiserslautern
Scheune des Theodor-Zink-Museums


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Verzauberungen

Weit mehr als nur ein Zwischenspiel für seinen ernsten-allzuernsten Tamerlano: Nichts weniger als die erste Komische Oper Deutschlands, die Georg Philipp Telemann mit seinem Pimpinone oder die ungleiche Hochzeit als Pausenaufheller 1725 auf die Hamburger Bühne gezaubert hat. Die italienische Vorlage fürs Libretto lieferten Tomaso Albinoni und Pietro Pariati. Johann Philipp Praetorius gelang es, die burleske Sinnenfreude ins Deutsche zu retten, den unbändigen, opferlastigen, paganen Humor, den die opera buffa in statu nascendi versprüht, wenn sie die Lust am Lästern bedient, um die Schadenfreude aller Jungen und der in Würde entsagenden Alten zu provozieren. Pimpinone, reich aber alt, juckt das lichte Fell. Wie Arno Schmidt hält er Zofe für ein nicht nur orthographisch leicht anstößiges Anagramm, um sich eine selbige mit Vespetta anzulachen. Ein Blick auf ihr Haar hätte ihn warnen sollen: Eine Hälfte gelockte Dame, eine Hälfte Dienstmagd. Das "herrsch-süchtige Cammer-Mädgen", früh vollendete Xanthippe, Charme versprühende Schönheit, Aufsteigerin mit Unterschichtraffinesse.

Regisseur Andreas Bronkalla, Musikdramaturg am Pfalztheater Kaiserslautern, besetzt die Rolle mit der zauberhaften Arlette Meißner und es gelingt ihm damit ebenso ein Glücksgriff wie mit Daniel Böhm als berechnender/sich verrechnender Greis Pimpinone. Zwei, die das Publikum verzaubern, mit einer wahren Spielwollust, komödiantischem Überschuss, von Bronkalla Raum ausschreitend und ausfüllend in Szene gesetzt. Die ideale Spielstätte ein Museum, vordem Scheune, unmuffig, bäuerisch und urban in einem. Die Empore ebenso mit einbezogen wie der gesamte untere Zuschauerraum. So viel Nähe, wie sie selten zu genießen ist, ohne peinlichen Besucherkontakt, die Interaktionen alleine auf das couple fatale beschränkt. Eine einleuchtende Eingangsszene, das Sangesduo, das zu spät an der Spielstätte eintrifft, die den Zuschauer gewissermaßen abholt. Jetzt sitzt jeder auch innerlich, und es kann losgehen!

Bronkalla und seine vorzügliche Dramaturgin Susanne Bieler lassen die Komische Oper sich selbst spielen, geben ein in den Bann schlagendes Tempo vor und verzichten kluger Weise auf alle unnötigen, aufgesetzten, pädagogisierenden Aktualisierungen. Telemann ist nicht Strindberg, die Charaktere nicht abgründig, beide Protagonisten Freunde der action directe - sie will seine Mäuse, er will sie mausen. Dabei gelingt es Bronkalla, jede Plumpheit zu vermeiden, ein Seh- und Hörvergnügen zu inszenieren, das einfach nur mit dem Prädikat zauberhaft angemessen beschrieben wird. Auch wenn das Ende für uns Männer schmerzhaft ist.

Anke Drewes, verantwortlich für Bühnenbild und Kostüme, spielt virtuos mit dem Raum und den Symbolen: Sie lässt der Spielstätte ihren vorzüglich geeigneten Charakter, ihre Interpretamente verstärken, ohne plump zu belehren. An der Stirnseite eine Collage aus Margritte-Motiven, neben dem „Sichtbaren Gedanken“, zwei, die Maskerade der wahren Gefühle betreiben, die berühmte Nackte vor dem Umphallus Schiefer Turm von Pisa, das Löwenmotiv und ein Mächtiger ohne Gesicht. Eine Magd, die sich schon immer zu kleiden weiß, aber auch in Seidenhandschuhen und Seidenrock sich sichtlich wohl fühlt. Glatzkopf Pimpinone, den die Sonnenkönigperücke glatte zehn Jahre jünger macht, der wie ein feiner Herr angezogen ist, wenn auch das grobe Leinen seine Herkunft erahnen lässt. Köstlich, wenn er als Schnarchnase in langer Unterhose und Pantoffeln auf seinem Sessel lungert, der in naher Zukunft Thron der Herrin sein wird. Verschiebbare Kulissen, die zeigen, dass sich die beiden in verschiedenen „Räumen“ befinden, selbst wenn sie sich nahe sind. Fensterformate, die ausschließen, niemanden einladen.

Vorbildlich auch Bronkallas Einsatz von hochbegabten Jugendlichen, die unter der Anleitung von Till Hass, Cembalist und Erster Kapellmeister am Haus unter professionellen Bedingungen mit „echten“ Stars aufspielen dürfen. Experiment gelungen, Musik vorzüglich: Valérie Krampe und Svenja Klamrott (Violinen), Muriel Weißmann (Viola), Alexander Krampe (Violoncello) und Parashkeva Trichkova (Kontrabass) zeigen, dass einem um die Zukunft der klassischen Musik im Allgemeinen, der Barockmusik im Besonderen nicht bang sein muss.

Die Stimmen: Wenn Daniel Böhm, Bariton der Belcantoliga, in seiner Arie „weiß, wie man redet“, zwei Frauen diskant, aber abgestuft wiedergibt, dann als Pimpinone seine herrliche Stimme einsetzt, kennt das Publikum vor Begeisterung kein Halten mehr. Jedes Wort an diesem Abend verständlich, gleichgültig, wo er sich im Raum aufhält. Wie bei Arlette Meißner, die ihre Sopranstimme wie ein feines Instrument einzusetzen weiß, in den Höhen rein und dicht, die Barockstimme, aber nicht nur.

Schade, dass es nur so wenige weitere Vorstellungen gibt. Schade, dass keine hundert Plätze zur Verfügung stehen. Das Premierenpublikum war außer sich, verzaubert und amüsiert. Ein Applaus, der nicht enden wollte, am liebsten hätte man eine Zugabe erzwungen. So schön kann ein Zwischenspiel sein!

Frank Herkommer

 






Fotos: Pfalztheater Kaiserslautern