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Fakten zur Aufführung 

MEFISTOFELE
(Arrigo Boito)
24. Juni 2007 (Premiere)

Pfalztheater Kaiserslautern

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Bezwingende faustische Bilder

Wie man bezwingende faustische Bilder auf die Bühne bringen kann, dabei deren existentielle Wucht in tiefgründiger Nuancierung und breiter, weltenkaleidoskopischer Fächerung manifest macht, ohne deshalb -um einer grandios bildmächtigen Aneignung willen- den Sängern einzwängende Gewalt anzutun, das kann man an der vorzüglichen Mefistofele- Produktion des Pfalztheaters Kaiserslautern bei Heinz-Lukas Kindermann studieren. Wie Bildflutung und Gesangsdarbietung sich nicht gegenseitig ausspielen lassen, weil eine grandiose Personenführung die selbsttragenden Bilder humanisiert, Weltenraum und Mensch in eine unaufhörliche Korrespondenz treiben, als habe die alchimistische Suche nach dem Ding an sich, der Welt als Heimat die Lösung gefunden. Weil der Regisseur die Personen wiederum zu Bildern verdichtet, denen auch als Stehenden nichts Abgestandes anhaftet.

Was bereits in Regensburg die Kritik in Verzückung versetzt hatte, kann auch in Kaiserslautern nur als großer Wurf bezeichnet werden. Dem Österreicher gelingt es zudem, dem inhärenten Drang zu widerstehen, aus „Mefistofele“ doch wieder einen „Faust“ zu machen. Zwei Gleichwertige stehen sich von Anfang an gegenüber, mit Vorteilen zunächst für Mefistofele. Wie bei einem äußerst gelenkigen russischen Artisten, der als einer den Kampf mit dem Bären spielt, wechseln Oberwasser und Unterlage ständig einander ab. Das Dämonische wird nicht dämonisiert; weder trivialisiert noch als Schwarzpause Heinrich Fausts instrumentalisiert. Das Humane wiederum nicht glorifiziert. Faust, ein Zwei -zu -eins -Sieger mit äußerst knappem Punktvorsprung. Der finale rettende Rückgriff auf die Religion mutet nach dieser Inszenierung fast schon wie ein unerlaubter Tiefschlag an in diesem zuvor so sauberen Faust- Kampf. Zwei Seelen wohnen in beider Brust. Kindermann erlaubt sich den differenzierenden Hinweis, dass auch das Alter Ego ein gespaltenes ist. Unter der Lupe dieses Psychagogen zeigt sich der scheinbar so klare Riss der Welt als ein uneindeutiges Geflecht von feinsten Verästelungen. Es ist diese Gespaltenheit, die die Welt im Innersten zusammenhält.

In Heidrun Schmelzer, doppelzuständig für Bühnenbilder und Kostüme, findet Kindermann sein ebenso kluges, ideengeschichtlich bewandertes wie schönheitstrunkenes Pendant. Zwei Hierodulen der Ästhetik. Der Zuschauer wird in einen Rausch versetzt, durch Bilder und Kostüme, an denen man sich nicht satt sehen kann. Subtile farbpsychologische Vereinnahmung. Schmelzer kann sich Details erlauben, die man in anderem Kontext als Pathos oder Kitsch abwatschen würde. Hier sind sie schlüssig, pfiffig, heilsame Distanz schaffend. Nicht einmal die ätherisch aufsteigende Mischung aus Weihrauch und Schwefel wirkt gagig, aufgesetzt. Eher augenzwinkernd. Januskopf Mefistofele.

Sie kann Nacktheit darstellen, die gegen jede Verletzung des Schamgefühls immun ist, hüben wie drüben des Grabens. Eine goethische Walpurgisnacht, sinnlich und vulgär, mit entfesselten Chormitgliedern, Strapsen, Latex und Bodies, trotzdem völlig unpuffig und jenseits aller Peinlichkeit. Erotik pur! Mefistofele lässt den Phallusstab lautstark kommen, als leide er unter praecox, grell, so obszön wie sein Dichter. Die Weltkugel aufgeblasen, real wie metaphorisch, von Frauenhänden freudig betastet wie eine konische Eichel, zunehmend priapistisch.

Abschüssige und schwindelerregend sich drehende orphische Räume, nur ein Schritt trennt vom Abgrund. Alles bewegt sich um das Lotterbett, das einzig Stehende. Zugriffsort für Mefistofeles. Raumverschachtelungen mit Durchbrüchen, die nur als das Seelenheil gefährdende Einbrüche gelesen werden können. Das konstante Dreieck, Raumsymbol des Göttlichen, das in seiner Gesetzlichkeit auch unbarmherzig dicht machen kann. Kryptische alchemistische Symbole, die der Welt ein Geheimnis einschreiben, Keltenbeil und Sonnenrad,d indisches Hakenkreuz und orphisches Rad aus Griechenalphabet bei Helena. Die schönste Frau der Welt als Büstenheilige, Frau ohne Unterleib. Das Hehre ist das Unerotische. Man kann es anbeten, aber nicht wirklich anmachen. Attika kann nur schwebend erreicht werden. Immer.

Lichteffekte, die eine ganze Welt durchfluten, verändern, verzaubern, bloßlegen. Als wollten Kindermann und Schmelzer dem deutschen Wortsetzmeister mit optischem Forschungsdrang eine späte augenweidnerische Referenz erweisen. Technisch perfekt und von Manfred Wilking rasant eingesetzt.

Tonsetzmeister Boito. Seine eklektische Musik wird von Kapellmeister Till Haas und dem Orchester vorzüglich umgesetzt. Spielerische Leichtigkeit neben dramatischer Zuspitzung, Farbenreichtum, ausgreifende Klangfülle und hohe Konzentration zeichnen das Dirigat und sein Orchester aus.

Die drei Chöre einschließlich Sonderchor sind meisterhaft eingestimmt. Verdeckt agierend und damit die englische Mittlerrolle stringent umsetzend, vom doppelten Boden des Theaterhimmels aus sakrale Ergriffenheit verbreitend, durch die Distanz aller Rührseligkeit entgegenwirkend, der Kinderchor. Ulrich Nolte hat große Arbeit am Pfalztheater geleistet.

Luiz Molz überzeugt als Mefistole voll, schauspielerisch wie stimmlich. Sein bereits erstaunlich ausgereifter Baß äußerst variabel, weich und konturiert zugleich. Als Besetzung ein Glücksgriff für das Pfalztheater. Äußerst schwierig zu singen auch die Partie des Faust, Fernando des Valle meistert sie genauso bravourös mit seiner schönen Tenorstimme und vorzüglichen Technik. Als unsicherer Greis kein verkleideter Jüngling und als Mann kein verpuppter Alter. Adelheid Fink als herausragende Margarete. In beeindruckender Körpersprache, mit weiter, expressiver Stimme. Die Kerkerszene: ergreifend, katharsisch, anrührend, dramatisch. Großes Singtheater ohne falsche Theatralik. Fink singt sich an diesem Abend endgültig in die Seelen ihres Publikum. In der Produktion Prima inter pares. Laurie Gibsons strahlender Sopran verleiht Helena eine attische Leichtigkeit und verlockende Zärtlichkeit. Steffen Schantz in kleiner Rolle Wagnerrolle gewohnt souverän, wie Martha in der Idealbesetzung mit Geertje Nissen. Chorsängerin Elena Gerasimova arriviert mit ihrer schönen Stimme immer mehr zur Solistin, hier als Pantalis im entzückenden Duett mit Gibson.

Minutenlange Ovationen. Ein Muss für jeden Boitofreund. Und jeden Opernfreund.

Frank Herkommer