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Fakten zur Aufführung 

LUDUS DANIELIS
(Günter Werno/Stephan Lill/Johannes Reitmeier)
12. Januar 2008 (Uraufführung)

Pfalztheater Kaiserslautern


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Latein Lover

Wenn apokalyptische Weltliteratur (Das Buch Daniel), randvoll mit Legenden und überbordendem utopischem Substrat, in ein mittelalterliches, lateinisch verfasstes Mysterienspiel einfließt, Volksoper in nuce, die das alttestamentarische Geschehen aus der Perspektive eschatologischer Erfüllungsgeschichte deutet, dazu ein Regisseur, der theologisch konsequent typologisch inszeniert und damit die klösterliche Vorlage auf hoher Reflexionsebene sachlich weiter führt, und dann noch ein kongeniales Komponistenduo, Günter Werno und Stephan Lill, an die Auftragsarbeit von Johannes Reitmeier geht, in diesem Glücksfall kommt eine Produktion zustande, die keine Bühne der Welt zu scheuen braucht. Biblischer Topos, Latein, progressiver Rock - diese Trias verbindet sich zu einem großartigen, opulenten und sinnenfreudigen Spektakel, ohne jede Proselytenmacherei und biederes Frömmlertum, da sei schon die geballte Erotik vor, jenseits alles trivialisierenden Läppischen, das das biblische Drama zum Stichwortgeber eigener Botschaften degradierte. Das Pfalztheater erweist sich einmal mehr als ein Epizentrum deutscher Musicalproduktionen.

Kloster Beauvais, Ende des 12. Jahrhunderts. Das von Klosterschülern verfasste und vertonte Mysterienspiel Ludus Danielis konzentriert sich auf zwei Legenden. Die Menetekel-Geschichte um den Sturz des babylonischen Königs Belsazar und Daniel in der Löwengrube in der apokryphen Habakuk- Care -Paket-Variante. In den Beauvais-Text als Andeutung intrapoliert die dem Daniel angedichtete Susanna-Legende. Das Ganze im lateinischen Original erhalten, jetzt einer musikalischen Metamorphose unterzogen.

Sechzehn non stop aufgeführte Szenen mit entsprechend zugeordneten Kompositionen bilden bei Reitmeier (Dramaturgie: Susanne Bieler) den ersten Menetekel-Akt. Orff-Hörer werden es vorher gewusst haben: Latein eignet sich ideal für Gregorianik, wie für jede weitere Sakralmusik, vor allem aber für Chöre. Dass auch Balladen, selbst fetzige Rocksongs auf Latein richtig gut kommen, wird dem gespannten Besucher spätestens dann klar, wenn die herrliche Astrid Vosberg mit ihrer unglaublich variationsfähigen Stimme artikuliert, als sei Latein ihre Muttersprache, mal reine Lilienkönigin, im zweiten Akt lässt Reitmeier Potiphas Weib schön grüßen, deshalb dann laszive, narzisstisch gekränkte, weil zurückgewiesene Intrigantin. Wenn Randy Diamond als Borderliner-König Belsazar Begeisterungsstürme auslöst, wie er furios die Grenze zum black metal streift; wenn Arlette Meißner als zauberhafter Engel wünschen lässt, die Hirten bei den Hürden hätten die himmlische Botschaft damals so jubilierend auf Latein und nicht im gutturalen Aramäisch vernommen. Oder Andy Kuntz, stimmgewaltiger Genius loci, als der leidende Gottesknecht, einsam aufgehängt zwischen Himmel und Erde, seine Verzweiflung bis in unglaubliche Tonhöhen ergreifend heraus singt, halb Golgatha, halb Gethsemane. Latein feiert nicht nur an Gymnasien fröhliche Urständ, es hat seine - wie spätestens jetzt erwiesen - eigene musikalische bellezza, Euphonie.

Setzt Reitmeier im ersten Akt die Akzente auf den ausbrechenden, ererbten Wahnsinn Belsazars, dessen Vater Nebukadnezar bereits jahrelang im psychotischen Schub von der Machtausübung ausgeschlossen worden war, steht die typologische Deutung des Danielgeschehens im Zentrum des zweiten, Löwengruben-Akts mit seinen siebzehn Szenen. Christologische Bezüge überall.

Die Komponisten Günter Werno (Keyboards) und Stephan Lill ( Guitars ) bilden gemeinsam mit Torsten Reichert (Bass), Andreas Lill ( Drums ) sowie Andy Kuntz ( Vocal ) die weltweit beachtete progressive Rock-Band Vanden Plas. Sinnvoll verstärkt für diese Produktion durch Burdette L. Becks II (Flöte) und Eva Alexandrian (Violine). Sensationell, wie die Band den Saal zum Kochen bringt, einfühlsamen lyrischen Momenten fulminanten Rock folgen lässt, der Jung und Alt begeistert. Alle Unkenrufe, dass die Manpower für große Produktionen nicht ausreichen könnte, wurden Lügen gestraft.

Nicht nur die bereits aufgeführten Protagonisten zeichnen sich stimmlich und durch überschäumende Spielfreude aus. Auch die mittleren und kleinen Rollen überzeugen. Allen voran Ines Agnes Krautwurst, mal dominante Satrapin, mal geifernd-insistierende Gelehrte und dabei an die große Hanne-Widder erinnernde Komödiantin, dazu eine beeindruckende, rauchig-erotische Stimme. Das Trio infernale komplettieren Peter Floch und Günther Fingerle gekonnt, rollenverliebt und sympathisch. Den Habakuk spielt und singt Bernhard Schreurs, dabei absolut glaubwürdig, zerbrechlich, zweifelnd.

Die Chöre und das Ballett tragen die Inszenierung entscheidend mit. Von Ulrich Nolte einstudiert, jagen die Sängerinnen und Sänger der Chöre dem Publikum einen Schauer nach dem anderen über den Rücken. Einsatzgenauigkeit, Harmonie und Takt stimmen einfach. Dazu außergewöhnlicher Spielwitz. Die Komposition trägt das Übrige zu dem grandiosen Eindruck bei. Trotz personaler Sorgen bringt Stefano Gianetti großes, zur Musik passend modernes Ballett auf die Bühne. Beispiel Löwengrube: Kein aseptisches Leiden des Daniel, die tanzenden Löwen (ohne Cats-Kitsch) setzen ihm zu wie die Häretiker Flauberts Heiligem Antonius.

Kostüme und Bühne: Michael D. Zimmermann gelingt ein Potpourri von blitzgescheiten Ideen und ästhetisch anspruchsvollen Manifestationen. Mit Hilfe von formidablen Videoprojektionen (der Dornenkranz in der Löwengrubenszene, die brennenden hebräischen Buchstaben des Menetekel an der Wand, der Transfer Löwengrube und Christenverfolgung im Kolosseum, der Turm von Babel) und verstellbaren Wänden hält er das Tempo, das die 33 Stationen erfordern. Weit in den Zuschauerbereich ragt das Halbrund der ersten Ebene und erzeugt ein unglaubliches Gefühl von Nähe. Die Musiker spielen auf der hintersten, halb erhöhten Ebene, was dem Gesang hörbar gut tut, das Volk Israel lebt ebenso am Abgrund der Grube wie in geistigen Höhen, und der an die Menora gemahnende siebenfache Davidsstern, projiziert auf den Zwischenboden der mobilen zweiten Ebene, zeigt, auf welcher Grundlage die oben in der Thoraschule versammelten Daniel und die Seinen leben. Am Ende der byzantinische Christus, projiziert auf den gebrochenen Davidstern. Farbsymbolik überall. Und so viel Liebe zum Detail: Menora und Ner Tamid, Kippa und Kopftefillin, die Bundeslade mit den obwachenden Keruben, Thorarollen und Zizith, Schläfenlocken und Davidsstern. Nur den entweihten Kultgefäßen sieht man nicht an, dass sie einst aus dem Schmuck der Kinder Israel zusammen geschmolzen wurden. Das ändert nichts an der Einschätzung: Phantastische Arbeit!

Das Publikum: Dreißig Minuten standing ovations. Rekord in der neueren Pfalztheatergeschichte. Bereit sich einzulassen auf ein großes Experiment, unabhängig vom Alter. Dienstlich verhindert, schickte Kultusministerin Doris Ahnen, engagierte Schirmherrin des Ludus, schon mal ihren Staatssekretär Joachim Hofmann-Götting vorbei. Er wird ihr berichtet haben, dass Sie bei ihrem anstehenden Besuch Ende Januar viel Zeit für den Applaus mit einberechnen muss. Warum das Bistum Speyer und die Evangelische Landeskirche durch Abwesenheit glänzten, bleibt im apokalyptischen Dunkel.

Frank Herkommer

Und hier gibt’s Extrapunkte:
Komposition:
Ballett:







 
Fotos:
Hans-Jürgen Brehm-Seufert/finest art photography