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Fakten zur Aufführung 

THE KING AND I
(Richard Rodgers/Oscar Hammerstein II)
22. September 2010
(Premiere: 18. September 2010)

Pfalztheater Kaiserslautern


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Polka der Kulturen

Ein Musical als Saisonpremiere. Das Pfalztheater Kaiserslautern zeigt, wohin die Programmreise in Zeiten knapper Privathaushaltkassen gehen soll: Eine Produktion, die absolut vergnügungssteuerpflichtig ist. Wobei die Pfälzer mit Mieczyslaw Weinbergs Das Portrait oder Das schlaue Füchslein von Leos Janacek dem gehobenen Geschmack einmal mehr Delikatessen anbieten in der Saison 2010/2011. Respekt vor der Mehrheit der Abonnenten schließt Produktionen für den Minderheitengeschmack eben nicht aus, ermöglicht sie vielmehr ökonomisch.

Dale Albright, Sänger mit eigener King-Erfahrung, Regisseur der Inszenierung am Tiroler Landestheater, bringt das Musical als Koproduktion mit den Innsbruckern auf die südwestdeutsche Bühne, die für ihre Liebe zum Detail, ihre hochdosierte Ästhetik bekannt ist. In einer herrlichen Mischung aus Disney's world (wie der Zwischenvorhang von Michael D. Zimmermann!), Comedy, Soap, der die wunderbaren Schul-Chor-Kinder den besonderen emotionalen Drive geben, Comic Strip, wenn ein feucht-fröhlicher, rockender Kapitän aus jeder Simpsons-Folge entsprungen sein könnte (der König der Nebenrollen: Günther Fingerle), eine King-Besetzung, die der Annahme, hier ginge es nicht um liebevolle Überzeichnungen des „Fremden“, augenscheinlich widerspricht: Randy Diamond, kaum zu zähmende Urgewalt auf der Bühne, dem man hinter aller Domestizierung (des Königs wie des Sängers) den anarchischen Anteil abspürt. Dazu bestes Chormusical, wie gut, dass in unseren Zeiten der Kulturexport die andere Richtung angenommen hat und so viele Sängerinnen und Sänger aus Asien unsere Chöre bereichern, wie der Extrachor des Pfalztheaters hervorragend eingestimmt von Ulrich Nolte. Ein Ballett, dem immer mehr die Handschrift des international renommierten Stefano Gianetti (Neumeier-Schule) anzusehen ist, das mit der Geschichte von Onkel Thomas in einer faszinierenden Symbiose der Kulturen das Publikum verzaubert. Der Höhepunkt des Abends. Dale schafft es, unterstützt von Dramaturgin Susanne Bieler, jedem Zuschauer Assoziations- und Transferfreiheit zu belassen. Was unaktuell daherkommt, ermöglicht genau dadurch jeweils höchste Aktualität. Wenn in dem zeitlos spannenden Musical die subtile westliche Barbarei des Imperialismus auf voremanzipatorische, atavistische Modelle stößt, in der Barbarei der Todesstrafe Ost und West vereint. Wenn das puritanisch-victorianische Selbstverständnis von Frau Lehrerin Risse und Brüche zeigt, von der bezaubernden Astrid Vosberg kommentiert mit „Aber gerne, Majestät!“ Und wenn die beiden Hauptprotagonisten eine Polka hinlegen, steht eine Vision im Raum: Dass es die Kultur sein wird, die unseren globalen Ungleichzeitigkeiten die Schärfe nehmen könnte.

Die Kostüme und das Bühnenbild von Michael D. Zimmermann. Eine gelungene Mischung aus klaren, stilisierenden Formen, Schule wie Palast, Boudoir wie Garten, alles diszipliniert und schnörkellos streng angedeutet, die Möglichkeiten einer Drehbühne nutzend, die Umrandung des Orchestergrabens als eine Art Catwalk der Liebenden mit einbeziehend, dann wieder unzählige Details, bei denen die Phantasie des Kreativen so verschwenderisch wuchert wie die königlichen tropischen Pflanzen in Zeiten des Monsuns.

Rodrigo Tomillo, koordinierter 1. Kapellmeister am Haus, klopft den Staub aus der fast 60 Jahre alten Komposition, feine Tempiwechsel, Simultanität mit der Bühne, Zurücknahme bei den an a cappella grenzenden Soli, Schwung und Spritzigkeit, einfach gute Musicalinterpretation.

Astrid Vosberg, eine Anna Leonowens in Idealbesetzung. Lehrerin mit der feinen Einfühlsamkeit einer wahren Grundschulpädagogin. Man spürt, wie sehr die Kinder auf der Bühne sie auch real lieben. Stimmlich die geborene Rodgers-Interpretin. Wie gewohnt präsent, glaubhaft und charmant. Randy Diamond wie beschrieben ein König, der den Übergang und damit das innere Chaos meisterhaft verkörpert. Eine Stimme mit unverwechselbarer Klangfarbe, immens ausdrucksstark.

Die Rollen der Jungen. Manuel Lothschütz als Sohn des Königs, schauspielerisch beeindruckend, ein Suchender, kein Erwachsener mit Kinderausweis, dem man die Gutherzigkeit abnimmt und der dann auch noch gut singen kann. Wie Julian David, Sunnyboy mit erotischer Stimme, der Luntha, dem eine an Schönheit, jugendlicher Anmut und Stimme in nichts nachstehende Nadine Eisenhardt zur Seite steht, in Leben und Tod, Tuptim, Gastgeschenk und Haremszierde. Pascal Brun füllt die Rolle des Lehrerinnensohnes Louis gekonnt knabenhaft, auch er mit einer ansprechenden, einfühlsamen Stimme. Ines Agnes Krautwurst überzeugt einmal mehr stimmlich am Pfalztheater, wenn sie die Töne wie auf einer Perlenkette aneinanderreiht, de facto a cappella. Eine große Interpretation der Lady Thiang, der sie Dignität, Würde und Souveränität verleiht. Geertje Nissen feiert unbemerkt Geburtstag und lässt ahnen, dass hinter jeder sittsamen Bebe eine sehnsüchtige Jenny steht. Günther Fingerle in doppelter Rolle: Sowohl als Kapitän Orton als auch als Sir Ramsey zeigt er sein vielfältiges schauspielerisches Talent. Bernd Schreurs, ein ansprechender Premierminister zwischen Kotau und Konspiration.

Das Publikum, ausverkauftes Haus trotz gleichzeitigem FCK-Spiel auf Sky, rundum begeistert. So viele strahlende und glückliche Menschen, die sich nicht nur blendend unterhalten, sondern auch angesprochen fühlen. Die Gesichter der Fußballfreunde dürften anders ausgesehen haben, außer sie waren Dortmund–Fans. Der Treffer für Kaiserslautern war an diesem Abend auf der Bühne des Pfalztheaters zu bejubeln.

Frank Herkommer

 







 
Fotos: Pfalztheater Kaiserslautern