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Fakten zur Aufführung 

BILLIE HOLIDAY - LADY SINGS THE BLUES
(Ulrich Greb)
24. September 2009 (Premiere)

Pfalztheater Kaiserslautern


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Liebe und Hunger

Niemand singe das Wort Liebe so wie sie, zitiert Billie einen Kritiker und fügt eine zweite existentielle Erfahrung hinzu: Den Hunger. Alles, was sie sei, liege in diesen beiden Worten. Astrid Vosberg ist zu diesem Zeitpunkt der Aufführung längst zur Lady geworden. Skandalon für jeden damaligen Weißen, der diese Anrede seiner Rasse vorbehalten sah. Sie erzählt keine fremde Geschichte, sie macht sie zu der ihren, ohne läppische Camouflage, keine weiß angemalte Schwarze, keine erzwungene Stimmverzerrung, höchstens ein paar Züge zu oft an der Zigarette. Astrid Vosberg wächst mit, reift mit, sie altert mit, alles ohne Zutun der Maske in den knapp 90 Minuten Nonstop der One-Woman-Performance. Die weiße Gardenie im Haar, und sie ist die Sängerin, ob sie aus ihrer früh abgebrochenen Kindheit erzählt oder aus der Hölle der Jugendbesserungsanstalt, von den Jahren ihrer Prostitution oder der unwürdigen Suchttherapie, als beim erzwungenen Schweinehüten ihre Stimme für mehr als ein Jahr verstummte. Von den gescheiterten Ehen wie von den Triumphen in der Carnegie Hall, ihren produktiven Begegnungen mit den Großen wie Benny Goodman, Duke Ellington und Count Basie. Eine bittersüße Geschichte, die von der Schande Amerikas und dessen bis heute virulenter Rassendiskriminierung zeugt, von der Schwierigkeit der Emanzipation, dem Ballast, der nicht in einer Generation abzuwerfen ist. Die Künstlerin erzählt keine private Geschichte, sondern den Mythos, vergegenwärtigt ihn durch ihre Aura, unglaublich viel Seele in der Stimme, schauspielerische Präsenz und eine eigens für diese Produktion erarbeitete Bluestechnik, die Sängerin wie Publikum gleichermaßen überrascht und entzückt.
Auf der die Bühne dominierenden Leinwand begleiten Holidays Lebensstationen eindrückliche Fotografien der geheimnisvoll schönen Frau, die zum schwarzen Mythos taugt, weil Glanz und Elend, Schuld und Verhängnis, unerlöste Liebessehnsucht, Ambition und Verfolgung, Fallen und Aufstehen dafür den Stoff bieten. Die Fotos treten in keine Konkurrenz zur Vosberg, sie vertiefen, erzählen die Passionsgeschichte der Billie Holiday hintergründig, wie ein Kirchenfenster darauf hinweist, dass der Mythos größer ist als das auf der Kanzel Erzählte.
Regisseur Reinhard Karow entwickelt mit feinem Gespür eine Dynamik, die die Genregrenzen zwischen Spiel und Konzert aufhebt. Was wie eine dichte, epische Schilderung mit eingesprengten Songs beginnt, endet in einem Konzert mit kurzen Überleitungen. Wie im Koran, die längsten Texte am Anfang, die kurzen am Ende.
Die Einheit des Raumes auf der kleinen Werkstattbühne des Pfalztheaters dient diesem Konzept. Links die Live-Musiker mit Schlagzeug, Bass und Gitarren. Rechts der Schminktisch, Ort der Reflexion. In der Mitte, vor der großen Leinwand Mikro, Hocker und Ascher. Birgitt Stoessel zeigt sich als Meisterin des Nebenbei. Ihr Bühnenbild, die Kostüme und die erlesenen, dokumentarischen Videoeinspielungen erliegen nie der Versuchung, ein Eigenleben zu führen. Die drei Herren von der Band im klassischen Fliege-und Flügeldress, Astrid Billie im seidenen Trägerkleid und Pfennigabsätzen, die Gardenie als Alleinstellungsmerkmal.
Die drei Musiker: Reinhold Weiser, der auch mit Hans Reffert und Holger Nesweda für die Arrangements verantwortlich zeigt, vorzüglich am Bass, hin und wieder Dialogpartner für die Lady, Hans Reffert bringt die Guitars zur Ekstase, Holger Nesweda zeigt, wie eindringlich die Drums sein können, ohne aufdringlich laut zu werden. Blues vom Feinsten!
Astrid Vosberg betritt stimmlich Neuland. Mutig in einer Bluesmetropole wie Kaiserslautern mit seiner Kammgarn. Der Bogen ist weit gespannt mit 19 Songs, an- oder ausgesungen. Gänsehaut, wenn sie Strange fruit singt, der Protestsong gegen die Lynchjustiz, und die baumelnden Leichen sind erst mit den letzten Tönen auf der Leinwand zu sehen. Keine Attitüde der Moralistin. Unendliche Melancholie, ja Pietät schwingt in der Stimme mit. Aus der sie ein Instrument macht, das im nächsten Augenblick frivole Töne hervorbringt, dann wieder die ganze urtümliche Fröhlichkeit, gefolgt von herber Bitterkeit. Jeder Song eine Botschaft sui generis. Und wenn man die Augen schließt, verraten nur hin und wieder die Oxford-Endungen, dass da eine gelernte Kunstlied- und Musicalsängerin sich in die Seelen ihres Publikums singt. Ein Bluesstar im status nascendi.
Schlüssig auch das Ende. Wenn Reinhard Karow und sein Dramaturg Axel Gade den Tod aufspielen lassen in einem schwarzen Blues von Hans Reffert. Ein Mythos darf nicht durch plumpe Anschaulichkeit entzaubert werden, schon gar nicht der Tod.
Das Publikum ist begeistert und betroffen. Langer Applaus ohne Exaltation, der den letzten Respekt vor der Tragik nicht verweigert. Eine sehens- und hörenswerte Produktion, nicht nur für ausgewiesene Bluesfans.

Frank Herkommer

 






 
Fotos: Pfalztheater Kaiserslautern