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Fakten zur Aufführung 

IN DUR UND MOLL
(Friedrich Hollaender)
13. März 2008 (Dernière)

Pfalztheater Kaiserslautern


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In Dur und Moll auf Liebe eingestellt

Eine Friedrich-Hollaender-Revuette, zusammengestellt von Susanne Ruppik

Es gibt Bescheidene, sehr Bescheidene - und Frauen wie Susanne Ruppik. Die in Darmstadt lebende Charakterschauspielerin hat auf der kleinen Werkstattbühne am Pfalztheater Kaiserslautern eine erfolgreiche Revuette zusammengestellt, die Leben und Werk Friedrich Hollaenders würdigt und damit dem am Ende seines Lebens Resignierten eine angemessene Nachgeschichte eröffnet. Ihren Beitrag spielt sie auf das bloße Sammeln herunter. In Wahrheit gibt sie dem Begriff Eklektizismus intellektuell und ästhetisch einen neuen, positiven Klang, ohne jede pejorative Färbung. Ihre Hommage benutzt die Form, die der kleine Mann mit den großen Kompositionen kreiert hat: Die Revuette, das Konzentrat einer Revue, welches geistreiche Unterhaltung von bloßem Bedienen der Sinnlichkeit und einlullender Ablenkung unterscheidet. Das Ganze vom erfahrenen Musicalschreiber und Regisseur Rainer Boggasch in Szene gesetzt (Dramaturgie Christina Alexandritis), angemessen behutsam, ohne erhobenen Zeigefinger, Walser-tauglich. Ihm gelingt gemeinsam mit der Kollektorin eines der seltenen Portraits, in denen der jüdisch-säkulare Glaube eines Assimilierten, der zur deutschen intellektuellen Avantgarde gehört, als das dargestellt wird, was er ist: Eigentlich nicht der (öffentlichen) Rede wert.

Religion wird konsequent aus der Sicht der Opfer, nicht der Täter gewichtet. Köstlich, wie die Genese des Dietrich-Songs von der Liebeseinstellung von Kopf bis Fuß dargestellt wird, ein wunderbarer Regieeinfall auch, die Souffleuse (Kerstin Hölzle) und den Pianospieler (Rodrigo Tomillo) ins Spielgeschehen mit einzubeziehen.

In ihrem gestreiften Dreiteiler durchwandert Susanne Ruppik die Jahrzehnte deutscher (auch Exils-) Geschichte, immer am O-Text der Lebenserinnerungen Hollaenders entlang, meist an einem Bistrotisch platziert oder als genius loci am Flügel. Die Goldenen Zwanziger mit Hollaenders Welthits aus dem „Blauen Engel“, der herauf ziehende Faschismus, der über zwei Jahrzehnte dauernde Zwischenaufenthalt in den Vereinigten Staaten, wieder entstehen unter erbärmlichen finanziellen Konditionen unsterbliche Melodien wie „Moonlight and shadows“ oder „Illusions“. Die Rückkehr ohne wirklichen Anschluss in ein im künstlichen Kulturkoma befindliches Land. Selbst auferlegter Heilschlaf, der 68 jäh beendet werden wird.

Das Bühnenbild (Thomas Dörfler, auch für die hinreißenden Kostüme zuständig, liebevoller Aplomb vor der Zeitgeschichte) redundant und variabel, überdimensionale spanische Wände, der Flügel, die Bistrotische mit den Otto-Schlemmer-Stühlen, ermöglicht der Fantasie, sich in alle Phasen zu versetzen.

Rodrigo Tomillo spielt virtuos auf der Hollaender-Tastatur. Seine Interpretation überspringt den garstigen Graben von über 80 Jahren, hat Heutigkeit und Drive, Authentizität, Einfühlsamkeit und Esprit.

Susanne Ruppik gibt in ihrer Hosenrolle Hollaender eine Stimme. Dem subtilen Beobachter seiner Zeit haftet in ihrer Interpretation nicht der Hauch von Besserwisserei, Intransigenz oder Nietzscheschem Ressentiment an. Chassidische Wehmut und Selbstironie überall. Wenn die Ruppik die wenigen Male singt, dann im Parlando in der besten Tradition des Berliner Ensembles.

Astrid Vosberg, Musicalstar am Pfalztheater, bei der spätestens seit ihrer One- woman -performance als Lola Blau jeder weiß, was sie als Chansonette drauf hat. Aus jedem Song macht sie eine eigene Geschichte. Offenbart sie sich als Kleptomanin, schwingt die erotische Saite mit, ohne jede Peinlichkeit. Und jeder hält seinen Geldbeutel fest. Droht ihr Günther Fingerle Prügel an, kommt eine Ahnung vom Wesen des Masochismus auf. Und wenn Jonny Geburtstag hat, hält das Publikum gebannt den Atem an.

Günther Fingerle, Schauspieler mit Faible für Chansons, gehört zu den bedeutenden Hollaender-Interpreten und Marlene-Dietrich-Darstellern auf deutschen Bühnen. Der Begriff der Travestie sperrt sich, auf seine Kunst angewandt zu werden. Er singt für Frauen geschriebene Songs und wirkt authentisch, um im nächsten Augenblick und ohne Bruch Männerlieder zu singen, als Cowboy, Tangopartner für die Frau, die er nicht leiden kann, oder als Gigolo. Wenn er die hysterischste Ziege gibt, quietscht das Publikum vor Vergnügen, um andächtig wie bei einem Choral dem Blauen Engel Fingerle zu lauschen.

Sara Nunius feiert derzeit als die beste Geierwally seit der Hatheyer schauspielerische Triumphe. In der Hollaender-Revuette beweist das Megatalent eine weitere große Anlage: die zur Chansonette. Wie sie das arme Mädchen aus Wedding interpretiert, das in einen Juden von Einsfuffzig verliebt ist, das ist große Kunst. Unglaubliche Präsenz. Als Mimin, als Sängerin, auf den Spuren von Lotte Lenja. Berliner Schnauze, wenn sie den Mond auffordert, gucke nicht so doof. Und der Saal tobt, wenn sie ihren Traum verrät, Sexappeal, Siebenappeal zu haben, wo es doch nur zu Fünfappeal und weniger reicht.

Das Publikum erlebt die Revuette als Kultstück am Pfalztheater. Auch die letzte Vorstellung ausverkauft. Es ist zu hoffen, dass es nicht der letzte Vorhang für diese Reise durch Hollaenders Werk und Leben war. Kleiner Mann, kleine Frau, beide ganz groß!

Frank Herkommer

 

 








Fotos: Isabelle Girard de Soucanton