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Fakten zur Aufführung 

LINKERHAND
(Moritz Eggert)
10. Mai 2009 (Uraufführung)

Lausitzhalle Hoyerswerda
Theater Görlitz


Points of Honor                      

Musik

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Außensichten

Brigitte Reimanns Roman „Franziska Linkerhand“, erschienen posthum 1974, war ein Konvolut von tiefmenschlich empfundenen Tabubrüchen mit den humanitär begründeten, bürokratisch-ideologisch zerstörten Utopien eines menschlichen Sozialismus in der DDR. Zerstörte Hoffnungen wurden in der Deformation des Bürgerlichen, im Scheitern selbstbewusster Weiblichkeit, in der lähmenden Ideologie normierten Wohnens und in wuchernder Aggressivität literarisch umgesetzt. Die Autorin lebte in den 60er Jahren im entstehenden Wohnquartier für die Malocher der Schwarzen Pumpe in Hoyerswerda, beobachtete die sozialen Verwerfungen, engagierte sich im Leben der neu entstehenden Stadt, starb nach quälendem Krebsleiden nur 39jährig in Berlin. Der Hoyerswerdaer Kunstverein bewahrt das Andenken an diese herausragende Autorin der „Ankunftsliteratur“, der so bemerkenswerten Zeitgenossin Christa Wolfs, und vermittelt ein im Westen weitgehend unbekanntes Erbe schmerzhafter Auseinandersetzung mit der unbegriffenen Dynamik eines sich immer mehr entfremdenden Systems. Brigitte Reimanns Buch erscheint mittlerweile im Aufbau-Verlag in der 11. Auflage!

Moritz Eggert komponiert zu dieser hochkomplexen Konstellation eine „Revue“ schillernder musikalisch-lustvoller Einfälle, zitiert klassische Topoi, verweist auf Musical-Elemente, lässt ariosen Sprechgesang zu, fügt a-cappella-Passagen ein, instrumentiert hoch flexibel – und beendet die Achterbahnfahrt divergierender Befindlichkeiten mit einem „Hoy-Hoy-Hoyerswerda“-Schlager im Stil der DDR-Musik. Dieses Kaleidoskop kommensurabler Musik wird von der Neuen Lausitzer Philharmonie kompetent akkurat umgesetzt; Eckehard Stier führt mit Intensität die so konkurrierenden Stile zusammen, entwickelt einen nachvollziehbaren Gesamtklang – und lässt Raum für inspirierende Assoziationen!

Yvonne Reich gibt der ambivalenten Franziska anrührende Gestalt, interpretiert sängerisch souverän mit viel Agilität in der Mittellage und beeindruckender Phrasierung auch in den geforderten Höhen. Frank Ernst ist ein konsequent-systemgerechter Architekt, stimmlich überzeugend-klangtreu. Hans-Peter Struppe brilliert als sich assimilierender Django in den angenommenen Rollen von John Lennon über Biermann zu Frank Strobel – wird zum emotionalisierenden Movens des äußeren Geschehens. So wie Lisa Mostin als Engel Aristide mit sensibler Tongebung den Part der quasi inneren Kommunikation vermittelt. Mit Shin Taniguchi als machohafte „Affäre“, Jan Novotny als Franziskas Bruder Wilhelm werden entscheidende Figuren im Ablauf des reflektierenden Geschehens.

Karen Hilde Fries baut eine Bühne aus versetzten Flächen mit der Anmutung angedeuteten Plattenbaus, mit aufgesetzten signifikanten Wohnblock-Modellen (in denen hoffnungsvolle kleine Lichter auftauchen!) – und einem Fenster mit Blick in den fast abgehobenen „Ewigkeitsraum“ des Engels Aristide. Das Bühnenbild wird zur eigentlichen Aussage des Stücks!

Sebastian Ritschel inszeniert situativ differenziert, betont die Leidensfähigkeit der Franziska, charakterisiert die antagonistischen Figuren in ihren durchaus dramatischen Konstellationen – lässt dabei Raum für kollektive Reaktionen und individuelle Empfindungen.

Das Libretto von Andrea Heuser greift Aspekte des Reimann-Romans auf, verändert, marginalisiert, pointiert einzelne Figuren – ignoriert aber das quälende Leiden Jutta Reimanns am Widerspruch eines humanen Konzepts mit den Realitäten konkreter Lebensläufe: Eine feuilletonistisch-muntere Außensicht einer fremden Welt. Aber was Musik, Gesang und Bühne aus diesem arg verkürzten Ansatz machen, ist bemerkenswert!

Die Lausitzhalle in Hoyerswerda ist zur Premiere voll besetzt; und das Publikum folgt gespannt, fokussiert weniger auf die ästhetischen Kategorien als vielmehr auf die immanenten Verweise auf die lebende Stadtwerdung ihres Lebensraums. Und die Zustimmung ist groß – es gibt zustimmende Begeisterung, aber auch zurückhaltende Skepsis. Auf alle Fälle: Ein Erfolg für das Theater Görlitz! (frs)

 










 
Fotos: Karen Stuke