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Fakten zur Aufführung 

L’ORFEO
(Claudio Monteverdi)
4. Juni 2010 (Premiere)

KunstFestspiele Herrenhausen
Hannover, Herrenhäuser Gärten


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Ein Fest für Kunst und Künstler

Die Spiele sind eröffnet. Ein Fest der Künste und ein Fest für alle Sinne soll es werden. Elisabeth Schweeger, zuletzt Intendantin des Frankfurter Schauspiels, ist nach Hannover gekommen, um die traditionsreichen allsommerlichen Veranstaltungen in den Herrenhäuser Gärten in eine neue Form zu gießen. Patron der ersten KunstFestspiele Herrenhausen ist Gottfried Wilhelm Leibniz, der Universalgelehrte, der rund 40 Jahre in Hannover lebte und an der Gestaltung der königlichen Gärten nicht unwesentlich beteiligt war. Leibniz stand für eine Verbindung der Kunstformen, für Interdisziplinarität und für die Verquickung zwischen Wissenschaft, Kunst und Spiel. Hier knüpft Elisabeth Schweeger mit ihrem Programm an. Ein hehrer intellektueller Anspruch, der zumindest am Eröffnungsabend das Publikum zu Begeisterungsstürmen hinriss. Nach einem einleitenden Vortrag des Hirnforschers Wolf Singer über die Bedeutung des Spiels für die kulturelle Entwicklung des Menschen und der Eröffnung einer Installation des Operndorfs, das Christoph Schlingensief gerade in Afrika baut, stand mit Monteverdis Orfeo die Initialzündung der Gattung Oper im Mittelpunkt des Abends.

Regisseur Alexander Charim nutzt verschiedene Orte für seine Inszenierung. Eine Bühne wie in einem herkömmlichen Theater gibt es in den Herrenhäuser Gärten nicht, was ohnehin zum Nachdenken über andere Realisierungsformen zwingt. Für den ersten Teil lässt Charim seinen Bühnenbildner Ivan Bazak in das Galeriegebäude, ein Festsaal, der noch immer in der barocken Pracht seiner Entstehungszeit erstrahlt, lange, weiß gedeckte Tafeln bauen, an denen die Gäste Platz nehmen. Ein Podest in der Mitte, zwei Leinwände mit Projektionen der Gesichter Orfeos und Euridices an den schmalen Seiten des Raums reichen als Rahmen aus. Die Kostüme von Julia Kneusels sind ebenso dezent wie heutig, Euridice trägt ein Brautgewand, Orfeo glitzernde Stoffe für die Eitelkeit des berühmten Sängers. Ensemble und Musiker bewegen sich über Tische und Bänke im Raum frei herum, das Publikum sitzt mitten im Geschehen. Alexander Charim erzählt eine Geschichte von Menschen, die aus unserer Mitte kommen – und das mit einer Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit in diesen ungewöhnlichen Räumen, die sehr wohltuend andere Möglichkeiten der Umsetzung von Musiktheater aufzeigt.

Beim Betreten des Saals schenken die Akteure den Gästen reichlich Sekt ein, auch in der Pause gibt es im Garten – im Eintrittspreis enthaltene – Verpflegung, die Sinnlichkeit soll auf allen Ebenen angesprochen werden. Das ist sicher ein Modell, was an den Theatern so nicht umsetzbar ist, an diesem Ort aber vielleicht gerade deswegen sehr überzeugt, an einem Ort, der für das Vergnügen errichtet wurde, tut es gut, diese Tradition zu pflegen.

Nach der Pause geht es dann in der Orangerie weiter, ein kahler, weiß getünchter Raum, hier dann doch wieder in der klassischen Situation aus Bühne und davor aufsteigenden Sitzreihen. Charim verbindet auch hier musikalische und szenische Aktion zu einem Bühnengeschehen. Orfeo ist an einem Ort angekommen, wo Kälte und Nüchternheit herrschen – eine moderne Unterwelt, in der die Menschen vor allem in ihren Gefühlen füreinander gestorben sind. Das alles ergibt durchaus schlüssige Bilder, die im Gedächtnis bleiben. Leider werden Text und Musik Monteverdis hier immer wieder von längeren Passagen fremder Beigaben unterbrochen – da erklingt Musik von Salvatore Sciarrino, Jonathan Harvey und anderen, da spricht der ungemein energetische Schauspieler André Kaczmarczyk – der auch den Charonte als Sprechrolle gibt – Texte, die die Handlung erweitern und die Seelenzustände der Protagonisten vertiefen sollen. Das ist keineswegs uninteressant oder abwegig, dehnt den zweiten Teil jedoch zu einer Länge aus, die empfindliche Grenzen berührt. Aber vielleicht muss auch das so sein an einem Ort, an dem es sich ganz auf die Kunst zu konzentrieren gilt.

Musikalisch gerät der Abend auf sehr hohem Niveau. Dirigent Olof Boman hat das Ensemble Kaleidoskop bestens auf den Orfeo eingeschworen. Kein Spezialensemble für Alte Musik ist das, die Instrumente sind ebenso heutig – aber die musikalische Motivation, mit der Monteverdi hier zum klingen gebracht wird, ist bemerkenswert. Das gilt ausnahmslos auch für das sehr sorgfältig gewählte Solistenensemble, aus dem stellvertretend Carl Ghazarossian als Orfeo, Isa Katharina Gericke als Euridice, Anna Charim als Messagiera/Proserpina/Pastore und Nils Cooper als Plutone/Pastore genannt sein.

Nach einem langen Abend belohnt das Publikum diesen insgesamt starken und nachhaltigen Auftakt des KunstFestspiele Herrenhausen mit ausgelassenem Beifall.

Christian Schütte

 










 
Fotos: H. Krueckeberg/Michael Loewa