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Fakten zur Aufführung 

BAJAZZO
(Ruggiero Leoncavallo)
GOYESCAS
(Enrique Granados)
21. Februar 2009 (Premiere)

Theater Heidelberg


Points of Honor                      

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Gesang

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Höchstpunktzahl knapp verfehlt

Natürlich verspüren an vielen Opernhäusern die Generalmusikdirektoren, Dramaturgen und Regisseure, die auf sich halten, eine Notwendigkeit an sich, manches anders zu machen als die Kollegen. Zuweilen kommt es dem Konsumenten vor, wie wenn Koketterie im Spiel sei, kreist doch das System, von zentripedalen Kräften angetrieben, um sich selbst. Im Idealfall aber ergibt sich eine stimmige, auf Konsequenz beruhende Produktion. Im schönen Heidelberg, wo das Stadttheater nach Ende der Saison für immerhin drei Spielzeiten in ein Theaterzelt umziehen wird - so grundlegend sind die Sanierungsarbeiten am angestammten Haus - spannte das Team jetzt den Bajazzo von Ruggiero Leoncavallo nicht etwa mit der Standardschwester Cavalleria rusticana zusammen, sondern aus der Operngeschichte wurde ein anderer Einstünder ausgegraben, der das Haus schon deshalb schmückt, weil es sich um eine deutsche Erstaufführung handelt: Goyescas von Enrique Granados.

Also, anstatt eines geballten Verismo-Abends nur die Hälfte als naturalistisches Drama um Liebe, Eifersucht und Tod, während der Spanier Enrique Granados, basierend auf schillernden Klavierstücken, eine Musik schrieb, die mit stilisierten Mitteln zwischen flirrender Impression und nachwagnerschem Liebestod das Thema Liebe, Eifersucht und Tod behandelt. Was wiederum als verbindende Klammer des Abends angesehen werden könnte, handelten nicht mindestens 90 Prozent aller Opern das Thema Liebe, Eifersucht und Tod ab. Aber Goyescas, assoziativ mit Goyas „Maja“-Bildern verbunden und 1916 an der Met uraufgeführt, ehe auf der Rückreise der Urheber nach deutschem Torpedo-Beschuss im Ärmelkanal ertrank, bildet ästhetisch den von Regisseur Aron Stiehl gewünschten Kontrast zu Bajazzo. Stiehl und sein Bühnenbildner Jürgen Kirner siedeln die brisante Viererkonstellation im abstrakten Raum an, mit schräg gestellten Latten-Stelen und subtiler Ausleuchtung. Dort zerreißt es Fernando vor Eifersucht, denn der Stierkämpfer Paquiro macht Rosario, Fernandos Geliebter, den Hof, anstatt sich auf seine Freundin Pepa zu konzentrieren.

Behutsam, in choreografisch ausgeklügelter Slow-Motion (Francisco Sanchez) bewegen sich die Figuren; am Ende stirbt Fernando - von Emilio Pons mit starkem Ausdruck in Spiel und Gesang dargestellt, verfügt er doch über einen variablen, mit bester Substanz unterfütterten Tenor - allein gelassen den Bühnentod. Nicht in den Armen seiner Rosario (wie im Textheft), deren fast keusch anmutende Figur die junge Silke Schwarz, gerade aus der Babypause auf die Bühne zurückgekehrt, mit leuchtendem, attraktiv geführtem Sopran verkörpert. Am Ende darf sie die große Tragödin spielen, denn Granados hat in seiner von Generalmusikdirektor Cornelius Meister und dem Philharmonischen Orchester Heidelberg nahezu perfekt ausgeleuchteten Partitur nicht nur hinreißende Duette hineingepackt, sondern auch eine grandiose Schlussszene. Mit von der Partie der kernige Bariton Gabriel Urrutia Benet als gut aussehender Paquiro und die Mezzosopranistin Jana Kurucová als personifizierte Schöne, die scheinbar unbeteiligt, aber gut bei Stimme, die Entwicklung des Dramas beobachtet.

Als große Herausforderung hat Enrique Granados auch den Chor eingebaut, mal kommentierend, mal die Handlung treibend. Intensiv, aber nicht bis in den letzten Taktstrich hinein genau machten das Opern- und Extrachor (Jan Schweiger), für die Viola Schütze ebenfalls geschmackvolle, hier unaufdringlich-charakterisierende Kostüme anfertigte. Das alles war sowohl der Ausgrabung, als auch des enormen künstlerischen Aufwands wert und wird als fein austarierte, Enrique Granados bestens gerecht werdende Revitalisierung einer vor allem musikalisch wirklich wertvollen Oper in Erinnerung bleiben.

Damit aber auch parodierende Action die Herzen des Premierenpublikums erfreue, hat Aron Stiehl den Bajazzo wie eine Slapstick-Komödie angerichtet und dabei in Personengestaltung und Kostümierung deutliche Anleihen an der „Klimbim“-Serie gemacht, die vor reichlich 30 Jahren im Fernsehen so etwas wie Kultstatus erlangte. Turbulent geht es zu, wenn das Volk nach Autogrammen der reisenden Schauspieltruppe giert, oder wenn Emilio Pons als Beppo/Arlequino die Hosen runterlassen muss und zwischen Kühl- und Kleiderschrank Zuflucht vor dem rasenden Canio/Bajazzo Zuflucht sucht. Nein, da wird Herrn Pons zuviel an Albernheit zugemutet, auch wenn er seine Aufgabe mit viel mimischer Bemühtheit absolviert. Die Konzentration auf Gags in dieser Inszenierung lenkt vom tieferen Drama ab: von der unaufhaltsamen Zerstörungskraft seelischen Erlebens, das rational kaum nachzuvollziehen wäre.

Einer indes wuchs zu wahrer Größe, der Tenor Winfrid Mikus, schon lange am Haus und jetzt in seiner Paradepartie angelangt. Die Strahlkraft seiner Stimme, stabil in den variablen Farben und immer voll szenischer Wucht eingesetzt, schenkte der Klamotte plötzlich eine tiefer gehende, schmerzvolle Dimension. Neben den bereits in Goyescas eingesetzten Sängern kam hier noch der lyrische Bariton von Sebastian Geyer als Silvio zum - gemäßigten - Tragen. Bemerkenswert agil traten Chor, Extrachor und Kinderchor auf; in dramatischer Verve und zielgenauer Pointierung ließ Cornelius Meister das Orchester auftrumpfen. Meister übernimmt ab nächster Saison zusätzlich zur Heidelberger Verpflichtung auch das Radio-Sinfonieorchester Wien. Leistung soll sich bekanntlich wieder lohnen.

Das Premierenpublikum jubelt seit Amtsbeginn von Intendant Peter Spuhler und Musiker Cornelius Meister seinen Bühnenlieblingen und allen Inszenierungsteams vorbehaltlos zu. Das erfreut das Herz der Macher, sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch in Heidelberg nicht permanent die Höchstpunktzahl erreicht wird.

Eckhard Britsch
 






 
Fotos: Theater Heidelberg