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Fakten zur Aufführung 

FIDELIO
(Ludwig van Beethoven)
7. November 2010 (Premiere)

Theater Heidelberg


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Unkonventionelle Sicht

Dabei hat es Beethoven doch so gut gemeint. Angesteckt von den Schlagworten der französischen Revolution, zudem vom selbst erträumten Ideal der Gattenliebe hat er eine Oper komponiert, in der die Linie klar ist: Unten schmachtet ein Unschuldiger, ein politischer Häftling, oben wird der Bösewicht entmachtet. „Freiheit“ und „Licht“ heißen die Zauberworte, die den Geknechteten Glück verheißen, und eheliche Opferbereitschaft wird zum Synonym für Erlösung. Ende gut, alles gut, die Liebenden haben sich wieder. Der Gequälte fällt, von einem Schluck Wein und einer Schnitte Brot gestärkt, seiner Ewigtreuen selig in die Arme.

Dafür hat die Inszenierungspraxis plakative Bilder entwickelt, die dem Kultur-Konsumenten das gute Gefühl geben, genau zu wissen, wie so ein Fidelio aufzuführen wäre. Im Heidelberger Theater, derzeit im Opernzelt zugange, scheren sich Regisseur Sven Holm und sein Team keinen Deut um Erwartungshaltungen, sondern setzen auf eine komplexe Deutung jener Umstände, die den Menschen gefährden: Politische Rahmenbedingungen, die zu selbstverleugnenden Überlebenstechniken zwingen. Auflehnung gegen Willkür, die doch nur in neuen, oft alten Hierarchien endet und individuelle Freiheit relativiert. Denn Individuum und Masse stehen oft bis zur Selbstzerstörung im Widerstreit.

Die Inszenierung bricht manches Schema auf. Die Protagonisten stecken in uniformen, beigefarbenen Anzügen (Elisa Limberg, auch für die Bühne verantwortlich), womit signalisiert wird, dass sich Oben und Unten politisch schnell ändern kann. Weshalb Kerkermeister Rocco dem Gewaltmenschen Pizarro, der knapp der Lynchjustiz entronnen ist, am Ende versöhnlich auf die Schulter klopft. Man weiß ja nie, wie sich die Dinge ändern! Geradezu zynisch wird Don Fernando, der gütige Minister, vorgestellt: Aus dem Geschenkbeutel verteilt er Äpfel als Almosen und Hoffnungsbringer zum schmatzenden Genuss und man fühlt sich an die DDR erinnert, die ihren Bürgern das Glück der seltenen Bananenration schenkte. Zudem gibt er Vorlese-Texte von Hölderlin, Meinhof, Heine, Luhmann, Rousseau oder Köhler aus, die sich kritisch, dialektisch oder relativierend mit Deutschtum, Kapitalismus, Menschenrechten und Demokratie auseinandersetzen. Ja, der Mensch, ob Gefangener oder Teilhaber des Systems, lebt nicht vom Brot allein. Und dieser Herr zeigt am Ende, wenn er den Chor dirigiert, dass Gleichheit ein leerer Wahn bleibt und Herrschaft sich immer wieder neu etabliert.

Die Fragilität des Seins scheint auch Florestan zu spüren, der dem Frieden nicht recht trauen mag. Er schält sich aus der Wirrnis hingeworfener Plastik-Gartenstühle, die vor dem Orchestergraben platziert sind. Später werden sie gestapelt, aber dieses Ordnungsprinzip ist so verletzlich, wie auch der Mensch ständig bedroht wird. Die Bühne selbst ist von einem Metallraster eingefasst, hinter dem eine sparsam bespielte Videoleinwand allerlei Assoziationen zulässt, wodurch sich insgesamt der Eindruck einer eher szenisch-konzertanten Aufführung ergibt. Aber die Imaginationen sind stark, nahe gehend, doch sorgen sie naturgemäß auch für Widerspruch.

Musikalisch geriet dieser Fidelio sehr eindringlich. Dietger Holm wartete mit einem überzeugenden Dirigat auf und meisterte die spieltechnische Schwierigkeit mit einem Gesangsensemble im Rücken bemerkenswert gut. Die Heidelberger Philharmoniker (zwischen gediegen und enthusiastisch) und der Chor/Extrachor (ausgezeichnet in der Einstudierung von Jan Schweiger) verdienten sich den standfesten Beifall, was gleichermaßen fürs Gesangsensemble gilt. Winfrid Mikus verfügt mit seiner Tenorstimme über ein ganz eigenes Timbre, das nicht jedermanns Sache ist, diesem „Florestan“ aber sehr gut anstand. Yamina Maamar stellte nach dem Wechsel ins dramatische Sopranfach die Hosenrolle Fidelio/Leonore stark und stimmlich sehr schön dar, weil gelöst in der Stimmführung und genau in den Akzenten. Rocco fand in Wilfried Staber einen stabilen Bass, Don Pizarro in Peter Felix Bauer einen auftrumpfenden Heldenbariton. Lucas Harbour überzeugte mit geschmeidigem Bass-Bariton als Don Fernando, und Alexandra Steiner gefiel als quirlige Marzelline, allerdings mit einigen hart einsetzenden Kanten. Eleazar Rodriguez (Jaquino), Sang-Hoon Lee und Michael Zahn (Gefangene) komplettierten das Ensemble adäquat.

Der stürmische Beifall galt der Musik ungeteilt, während dem Inszenierungsteam deutliche Buhs entgegenschlugen. Dabei sollten die Heidelberger seit den damals jungen Wilden Neuenfels und Kresnik an Inszenierungen gewöhnt sein, die kräftig wider den Stachel löcken.

Eckhard Britsch

 









 
Fotos: Markus Kaesler