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Fakten zur Aufführung 

CHIEF JOSEPH
(Hans Zender)
29. September 2006 (Premiere)

Theater und Philharmonisches Orchester der Stadt Heidelberg
(Stadttheater Heidelberg)

Points of Honor                      

Musik

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Historisch-globale Zivilisationskritik

Der Häuptling Josephvon den Nez Percé-Indianern hielt 1879 eine beeindruckende Rede vor dem amerikanischen Kongress, entwickelte eine bewegende Anklage gegen die rücksichtslose westliche Zivilisation. Hans Zender macht daraus ein kongeniales Libretto, erweitert allerdings durch Passagen zum Atomtod in Hiroshima. Seine Musik ist durchzogen von einer systematischen „Polymetrik“; die rhythmische Muster kontrastieren indianisches Mythendenken mit westlicher Rationalität – Textcollagen, poetische Stimmen, Klanggesänge und Passagen der Stille bestimmen die „Gesangspartien“; die Musik reflektiert, verstärkt und kontrastiert diese existentiellen Texte mit großem Percussion-Aufwand, mit imaginierenden Winds und protestierendem Blech, dazu Akkordeon, Gitarre und ein intensiv-emotional begleitendes Cello, das anstatt des von Zender vorgesehenen Ajeng (einem koreanischen Instrument) in Heidelberg eingesetzt wurde. Dem Chor sind kommentierend-virtuose Passagen zugeschrieben.

Das innovativ-mutige Heidelberger Theater mit seinem jungen Intendanten Peter Spuhler gibt dem sicherlich epochemachenden Stück nach der eher gleichgültig aufgenommenden Uraufführung im Juni 05 an der Berliner Staatsoper eine zweite Chance. Der findig-kundige Operndirektor Bernd Feuchtner bringt das Werk an ein kompetent-risikofreudiges Haus.

Benedikt von Peter gelingt es, das komplex-komplizierte Geschehen ohne modisch-anbiedernde Pseudo-Aktualisierungen für unsere Zeit zu akzentuieren. Die vier Figuren des Chief Joseph, die Indianer, Govenor, General sowie zweier kontrastierender Touristen und Freundinnen bleiben im zum Teil chaotischen Handeln nachvollziehbar. Die von Hans Zender vorgegebene hochdiffizile Präsentationsstruktur mit Leerszenen, Indian Songs, Szenen, Klagen und Rotationen gewinnt animierendes Bühnenleben, das sich der Reflexion von Fiktion und Realität überzeugend stellt. Allerdings: Die „Bekenntnis-Attitüde“ wirkt im Pathos von Musik und Handlung ein wenig zu „dick“.

Susanne Münzners Bühne – eine Art Junky-Treff vor einer desolaten Imbissbude – erinnert an Schlingensiefs Animatographen: ein frappierendes Überangebot an assoziationsreichen Eindrücken.

Cornelius Meister (man muss es immer wieder sagen, damit es glaubhaft bleibt: mit 25 Jahren der jüngste GMD aller Zeiten) gelingt mit dem phantastisch motivierten Philharmonischen Orchester der Stadt Heidelberg eine kongeniale Interpretation ganz im Dienste der von Hans Zender authentisch konzipierten Musik. Dem Opernchor gebührt besonderes Lob: kollektiv perfekt, in der Intonation brillant, keine geforderten Schwierigkeiten verweigernd!

Die Heidelberger Sänger-Darsteller bieten eine großartige Ensemble-Leistung: Sebastian Geyer, Aaron Judisch, Gabriel Urrutia Benet und Jana Kurucova als die vier Josephs; Karol Cieplucha, David Otto, Wilfried Staber und Andreas Daum als Indianer; Maraile Lichdi als Wacoba, Stefanie Baranski und Christiane Fiedler als deren Freundinnen; Winfried Mikus und Hubert Wild als Touristen – ein Ensemble mit außergewöhnlicher Spielfreude und Lust zum Ungewöhnlichen!

Bemerkenswert auch die Perfektion der geforderten Amplification: Wolfgang Freymüller und Andreas Legnen werden im Programmzettel unter der Rubrik „Technik“ vermerkt; ihre Leistung ist jedoch (mit-)entscheidend für den grandiosen Erfolg der Aufführung.

Das hochmotivierte Heidelberger Publikum – eine Mischung aus Jung und Alt wie gemalt – zeigt den Stolz auf „sein“ überraschungssicheres Theater, bejubelt das Erlebte mit Verve und genießt die Premierenfeier mit kommunikativer Lust. Wunderbar! (frs)