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Fakten zur Aufführung 

DER ROSENKAVALIER
(Richard Strauss)
14. Dezember 2008 (Premiere)

Staatsoper Hannover


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Brüche

„Da steckt so viel Weisheit drin“ ist ein Zuschauer-Kommentar nach dem ersten Akt, in dem Christof Nel das Publikum mit den eigenen Assoziationen des Unaussprechbaren ziemlich allein lässt. Doch später werden die gesellschaftlichen Brüche szenisch sichtbar – und persönlich nachvollziehbar, zumindest als abweichend von tradierten Opern-Erfahrungen empfunden – was geballten Unmut auslöst, in Artikulationsformen, die man bildungsbürgerlichen Niedersachsen so gar nicht zutraut.

Dabei vollzieht Christof Nel nur die Intentionen Hofmannsthals nach, kennt offenbar auch Heimito von Doderer, und zeigt ein Spiel des Umbruchs, das auch an der Strudelhofstiege angesiedelt sein könnte. Wie Hofmannsthal/Strauss ihr Opus des brüchigen Jahrhundertwechsels um 1900 ins 18. Jahrhundert verlegen, so versetzt Nel die Umbrüche unserer Zeit in das Identitäten zerstörende fin de siècle. Sprachlosigkeit – bei allem eloquenten Parlando – beherrscht die zerbröselnden Individuen; dagegen sind alle Gruppen mit mehr als zwei Mitgliedern uniform auftretende Massen – die adeligen Waisen beim Lever, die Lerchenauer, die Diener, die vatersuchenden Kinder - nachgerade kongenial dazuerfunden eine Gruppe schwangerer Bräute und eine vereinnahmend aggressive Menge, in der Octavian und Sophie aufgehen. So verläuft nun mal der Auflösungsprozess der feudalen Kasten; oder – konservativ-kulturkritisch formuliert: so etabliert sich die Massengesellschaft, gibt dem privilegierten Adel mit seinen individuell ausgelebten Befindlichkeiten keine Überlebenschance.

Sollte es sich in Hannovers Opernhaus bei dem lamentierenden Protestgeheul etwa um den letzten anachronistischen Aufstand der Ernst-August-Monarchisten handeln?

In konsequentem Rot stellt sich die optisch überwältigende Bühne von Jens Kilian dar – variabel mobile Vorhänge schaffen Handlungsräume für differenziertes Agieren, lassen mit spektakulär-konkreten Versatzstücken (so die provozierend unmissverständlichen Betten im Beisel) die Umbrüche auch im individuellen Verhalten spielbar werden. Barbara Aigners historisierend-interpretierende Kostüme vermitteln die existentiellen Konflikte im Innenleben der Personen und in ihrer Konfrontation mit den kollektiven Kräften.

Wolfgang Bozic geht in seiner musikalischen Umsetzung mit dem Niedersächsischen Staatsorchester auf das Inszenierungskonzept individueller und gesellschaftlicher Brüche mit bisweilen selbstverleugnender Intensität ein – schafft dabei eine frappierend unkonventionelle Strauss-Interpretation: dominierende Walzer-Rhythmen werden zu verhaltener Rückbesinnung, die spektakulären Eruptionen sind eher zurückhaltendes Dräuen zerstörerischer Gegenwart, virtuose Instrumenten-Passagen geraten nicht zum musikalischen Selbstzweck – und die Musiker sind hochkonzentriert bei der Sache, sicher in den Einsätzen, überzeugend auch im exaltierten Zusammenspiel und durchgängig den vorgegebenen Duktus musikalisch-souverän durchhaltend.

Begeisternd die sängerischen Leistungen des Hannoveraner Ensembles – die so häufig vernachlässigten Interpreten der „Nebenrollen“ präsentieren sich mit vorzüglicher Darstellungskraft und stimmlich typengerechter Kompetenz: Frank Schneiders als devot-aufmüpfiger Faninal, Carmen Fuggiss als eifernde Leitmetzerin, Okka von der Damerau und Jörn Eichler als intrigant-ambivalente Annina und Valzacchi, Ivan Tursic als präsenter Haushofmeister und Wirt, Shavleg Armasi als knorriger Kommissar – und natürlich Sung-Keun Park als durchsetzungskräftiger Sänger.

Kelly God verfügt über immenses Stimm-Potential als alternd-leidenschaftliche Marschallin, beherrscht die Nuancen ihres Lebensbruchs mit viel Einfühlungsvermögen und souveräner Stimmführung. Albert Pesendorfer gibt den Ochs als alternden Schnösel, verliert sich nicht in Buffo-Mätzchen, artikuliert situationsgenau – und ist mit seinem variablen Bass-Bariton Garant für wortverständliches ausdrucksvolles Singen. Dorothea Maria Marx gibt der hin- und hergeworfenen Sophie naiv-suchenden Charakter mit sehr eigenem Timbre, vermittelt verdrängte existentielle Nöte wie Hoffnung, Angst, Sehnsüchte mit leuchtender Stimmkraft – irritiert jedoch durch instabile Bewegungen, produziert die emotionalen Töne mit zu viel körperlichem Engagement. Sensationell in Auftritt und stimmlichem Ausdruck: Matilda Paulsson als Octavian – eine Sängerin, die einen Mann spielt, der eine Frau spielt, changiert zwischen den Rollen, ist ungemein flexibel in der stimmlichen Präsentation, beherrscht alle geforderten Lagen par excellence und vermittelt die langfristig erkennbare Inszenierungs-Idee vom ersten Moment an mit hinreißender Verve!

Ihnen allen gilt der geradezu frenetische Schlussapplaus. Für nachfolgende Besucher: Man richte sich auf nachdenkenswerte Bemühungen während der ersten beiden Akte ein, entwickle ein Verständnis für subtile Details, goutiere exzellente Musik und virtuosen Gesang, um dann im dritten Akt die Sehnsucht nach dramatisch-konkreter Handlung (nebst plausibler Deutung) sowie losgelöst-emotionaler Musik erfüllt zu erleben. Aber so ist der Strauss-Kosmos nun mal – auch ohne Christof Nels intellektuelle Herausforderung! (frs)