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Fakten zur Aufführung 

DIE WALKÜRE
(Richard Wagner)
23. Mai 2010 (Premiere)

Staatsoper Hannover


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Helden an die Tankstelle!

Groß war die Spannung im Vorfeld, wie es wohl weitergehen würde mit Barrie Koskys Ring an der Staatsoper Hannover. Die Premiere vom Rheingold im vergangenen November hatte zwar keine ungeteilte Zustimmung ausgelöst, gleichwohl hohe Erwartungen ausgelöst, wie Kosky seine Reise fortsetzt. Für den ersten Akt der Walküre hat er sich von seinem Bühnenbildner Klaus Grünberg ein enges, spießiges, farbloses Wohnzimmer bauen lassen, in dem Hunding als grobschlächtiger Kleinbürger herrscht, seine Frau Sieglinde in einen Zustand von dauerhafter Panik versetzt hat und in das Siegmund als ebenso unbekümmerter wie verunsicherter Junge eindringt. In diesem Raum entwirft Kosky bezwingende Psychogramme der Figuren, formt immer wieder Bilder, die vor Spannung schier zu platzen drohen.

Diese Intensität hält im zweiten Akt so nicht an. Schwarze Vorhänge im Hintergrund und davor ein im wahrsten Sinne des Wortes Laufsteg – Wotan kehrt gerade vom Joggen heim – ergeben nicht ganz die atmosphärische Dichte des ersten Akts. In T-Shirt, kurzer Hose und Laufschuhen kommt Wotan recht leger daher – aber die Assoziation, dass bedeutende Staatsmänner in den Medien genauso oft wie in Ausübung ihres Amts beim Sporttreiben zu sehen sind, ist durchaus plausibel. Brünnhilde ist seine in schwarze Lederkluft und Motorradhelm gewandete Lieblingstochter, Fricka als seine ebenso elegante wie strenge Gattin schon leicht ergraut. Die Personenführung gelingt in diesem Akt nicht immer prägnant. Zugezogene Vorhänge vor und auf der Bühne verengen in Wotans langer Erzählung und in der Todverkündigung die Szene, was dann wiederum enge Konzentration auf den Text in diesen intimen Momenten ermöglicht.

Glänzend geraten die Walküren, eine Mädchen-Gang in Jeans und Leder, mit blutverschmierten Gesichtern und zerfransten Haaren. Da kommt die Qualität von Kostümbildner Klaus Bruns ganz zum tragen. Kosky setzt die Mädchen stark in Bewegung – gehetzte Menschen, die überhaupt nicht merken, wie gehetzt sie tatsächlich sind, sie haben schließlich die Aufgabe, für Wotan Helden zu jagen. Warum der dritte Akt allerdings an einer verwaisten Tankstelle spielt, bleibt etwas im Unklaren. Zum Schluss nimmt Wotan Benzin aus der Zapfsäule, kreist Brünnhilde damit ein, entzündet aber nicht etwa das, sondern eine Fackel in der Hand der schlafenden Brünnhilde. Dieses Schlussbild hätte sich stimmungsstärker lösen lassen.

Auch wenn szenisch noch nicht alles ausgegoren scheint, so hinterlässt der Abend einen nachhaltigen Eindruck – denn es ist einmal mehr ein Abend des hannoverschen Ensembles. Kelly God und Brigitte Hahn debütieren als Sieglinde und Brünnhilde und demonstrieren beide eindrucksvoll, wie sie sich in den letzten Jahren an diesem Haus ins dramatische Fach entwickeln konnten. Kelly God gibt ihrer Sieglinde metallische, durchschlagende Höhen genauso wie ein warmes, sicher strömendes Piano und kann so die große Zerrissenheit der Figur glaubhaft machen. Brigitte Hahn als wilde Wotanstochter steigert sich zu einem hochintensiven dritten Akt, getrieben zwischen Schuld- und Selbstbewusstsein. Ihre acht Schwestern sind vokal wie darstellerisch eine starke Truppe. Einzig Khatuna Mikaberidze hatte im Kreis der Damen keinen guten Abend erwischt, sang die Fricka mit verschwommener Artikulation und wackliger Intonation.

Stimmliche Glücksfälle sind Robert Bork als Wotan und Vincent Wolfsteiner als Siegmund. Bork verfügt über einen kernigen, balsamischen und gut fokussierten Bariton, mit dem er mühelos auch die größten Wogen im Orchester überstrahlt, dazu verleiht der dem Wotan kraft seiner Statur und seinem Spiel Autorität und Würde. Mit Vincent Wolfsteiner scheint ein waschechter Heldentenor heranzuwachsen. Mit seiner punktgenau geführten, von einem schönen metallischen Strahl umwobenen Stimme bewältigt er die Partie nicht nur mühelos, sondern kann sich dabei vor allem auf sein Spiel konzentrieren, was zu einer vokalen Selbstverständlichkeit führt, wie sie in dieser Rolle selten zu erleben ist. Albert Pesendorfer schließlich gibt mit seinem voluminösen schwarzen Bass einen finster-brutalen Hunding, der jetzt schon Lust auf seinen Hagen in der Götterdämmerung macht.

Wolfgang Bozic musste, wie schon nach dem Rheingold, vor dem zweiten Akt ein paar heftige Buhs einstecken. In der Tat sorgte er mit seinem Dirigat für starke Emotionen, allerdings nicht ablehnender Art. Abgesehen von einigen unschönen Unsauberkeiten in den Blechbläsern, zumal in den Trompeten, hat Bozic seine Arbeit am Ring mit dem Orchester sehr stark verfeinern und differenzieren können. Wie er mit Tempi und Dynamik spielte, wie er seine Sänger trug, das war überwiegend von beachtlichem Format.

Am Ende begeisterter Beifall für das Ensemble und Wolfgang Bozic, lautstarke Buh-Salven für Barrie Kosky. Ob die wirklich ernstgemeinter Kritik zuzuschreiben waren oder der Lust am Protest, das klang da nicht immer so deutlich heraus.

Christian Schütte

 









Fotos: Thomas M. Jauk