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Fakten zur Aufführung 

TURANDOT
(Giacomo Puccini)
2. Oktober 2005 (Premiere)

Staatsoper Hannover

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Der Sparminister im Prinzessinnendrama

Die prästabilierte Einheit zwischen Bühne und Zuschauer wird bereits in den ersten Takten von Puccinis Turandot von einer in gesellschaftliche Härte und Grausamkeit einführenden Musik „aufgehoben“, wie Dramaturgin Dominica Volkert das punktgenau benennt. Und zerhaut die Musik diese Scheinsicherheit zwischen Bühne und Zuschauerraum erst einmal, ist Platz für die Konstruktion einer neuen Ebene: eine, die die Perspektivität auf das Schöne, das Kunstwerk selber thematisiert.

Ohne Einsicht in diesen inszenatorischen Hebel sieht man nicht viel mehr als eine dürftige Rampenoper ohne rechten Sinn: diese dominanzverschiebene Zusatzebene liegt – recht banal, aber enorm wirkungsvoll – in der erfundenen Figur eines fremden Mannes im Anzug. Er dirigiert die Chöre im beschwörend-formelhaften Gestus. Er nimmt den Masken die Träume, hat die eigentliche Kontrolle übers Popolo di Pekino und auch über den Tod auf der Bühne. Er ist manchmal ganz im Hintergrund, aber doch spürbar überall. Noch die Aufstellungen der Menschen in ihrem gleich-verkaroten Zuhause wirken wie von ihm inszeniert.

Der Mann ist Symbol für Macht. Deuten muss man ihn einmal ganz aus dem Grundproblem von Theaterkunst heraus, denn in ihm scheinen eindeutig die theaterinternen Machthaber auf: der Dirigent, der Regisseur, der Intendant. Bischoff lässt ihn, darin symbolschaffend, aber auch gegenüber außertheatralischen Akteuren durchlässig erscheinen: so können da ohne Umstände der schnörkellose Pisapauker, der psychotechnisch gedrillte Manager oder der allseits abgefeierte Sparminister abgelesen werden.

All dem gemein ist die Erzeugung einer Machtblase, die ein anderes nicht mehr kennt: allein noch die Trauer über Liùs Tod entäußert einen Moment des Ohne-Macht-Seins. Szenisch wenden sich die Menschen von ihrem einzig von Timur (Xiaoliang Li) betrauerten toten Leib und dem Publikum weg – hin zu der Fortsetzung des ritualisierten Überwachens und Strafens. In ihrer Abkehr zeigt sich die Masse, hierin dann doch wieder sehr nah an den leise auslaufenden Klängen der Uraufführungsversion, als Herz und gibt darin ein letztes, gänzlich unkitschiges, Zeichen von der Art Liebe, wie sie der italienische Maestro der Welt vermacht hat.

Bischoffs Blick auf das Werk zeigt wie selbstverständlich, welche Schlussversion die Eigentliche ist. Er versteht das Verhältnis von Turandot zu Puccini real und glaubt nicht an ihre Metamorphose. Wie letztlich auch Calaf nur einmal Duce sein, einmal siegen möchte („Vincero“). Endlich vollbringt er dies, steht am Ende sogar höher als der dirigierende Machtinhaber selber. Doch was hat er da erreicht, ganz allein, oben auf der Treppe?

Es gelingt dem Regisseur Thomas Bischoff gemeinsam mit einer hervorragend eingesetzten Statik in Licht (Susanne Reinhardt), Kostümen und Bühne (beides Uta Kala) eine zwingende Inszenierung dieses Dramas um die Eisprinzessin Turandot, wobei der kollektiv gewordene Willen zur Macht gegenüber dem schönen Objekt nahezu total obsiegt.

Ki-Chun Park (Calaf) ersingt sich wahrhaft heldisch den Zutritt zum Ritual, bleibt aber noch etwas unsauber in der Ausgestaltung mancher Phrasen. Mit Bravour meistert Barbara Schneider-Hofstetter die hohe Tessitura der Hauptpartie. Sie verbreitet durchaus eine Bedrohungssphäre in ihrem äußerst routiniert wirkenden Vortrag. In die Herzen singt sich Alla Kravchuk als Liù mit ihrem quellfrisch-perlenden Sopran. Gesanglich herausragend und sehr gut einstudiert (Johannes Mikkelsen) präsentiert sich der Chor (plus Extrachor und Kinderchor) der Staatsoper: sowohl in den bedrückenden Passagen homophoner Physis als auch in den präzise aufschwellenden Zwischenkommentaren oder im entschwindenden Schlusspianissimo vermochte er zu brillieren.

Bleibend ist auch der Eindruck des glänzend aufgelegten Staatsorchesters unter GMD Shao-Chia Lü. Er entwickelt einen zerfallenen, nicht zerfahrenen Pucciniklang, einen, der ganz in der Moderne angekommen ist.

Die Zuschauer am Premierenabend nahmen diese fordernde Turandot-Aufführung in stetig, sich bis in die stehenden Ovationen (der letzten drei Viertel des Parketts) hinein steigerndem Jubel auf und gaben Sängern wie Musikern gleichermaßen ausgiebig Beifall. (wh)


Fotos: © Matthias Horn