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Fakten zur Aufführung 

AUS EINEM TOTENHAUS
(Leos Janacek)
17. März 2009
(Premiere: 15. März 2009)

Staatsoper Hannover


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Pessimismus radikal

Janaceks düster-aggressives Epos über das unmenschliche Existieren in der zaristischen Strafkolonie von 1930 wird in der gnadenlos-pessimistischen Interpretation Barrie Koskys zum schier unerträglichen show-down des menschlichen Furors: Aktuelles Verhalten, monströse Lebensgeschichten, erlittene Demütigungen, archaische Süchte nach Rache und Tod werden schonungslos demonstriert. Menschen als deformierte Opfer autoritärer Gewalt entäußern sich ihrer humanen Substanz, vergehen in Selbsthass und hemmungsloser Aggression. Das Totenhaus ist die alles erstickende Humanitas, wird zur Hölle jedes Einzelnen im überwältigend-zerstörerischen Kollektiv. Der Einzelne tritt aus dem moralisch deformierten Ganzen, indem er seine eigene Inhumanität bekennt. Kosky entlarvt die Figuren im Heraustreten aus der amorphen Masse, verweist dabei aber permanent auf die externen brutalen Machtstrukturen. Beklemmend die Idee, den schikanierten Adler als malträtierten Häftling zu quälen.

Katrin Lea Tag stellt eine dekorationsfreie Plattform auf die Bühne. Sie ist für fünfzig Männer in Sweat-Shirt und Jeans für 95 lange, nahezu unerträgliche Minuten der Ort schier unmenschlicher Demütigung: Abort-Eimer werden ausgeschüttet, Aggressionen toben sich auf offener Fläche aus, lassen Raum für kollektives Agieren und individuelles Bekennen und Verzweifeln. Da geht es nicht um zeithistorisches Dokumentieren: Die Unmenschlichkeit wird zum Gegenstand erschütternder Beobachtung. Und öffnet Blicke auf gesellschaftliche Brutalität und individuelle Hilflosigkeit.

Wolfgang Bozic interpretiert mit dem differenziert-präzis aufspielenden Niedersächsischen Staatsorchester eine Janacek-Musik mit einem geradezu überwältigenden Kosmos archaischer Emotionen: aufbrausendes Blech, Streicher im stimulierenden Wechsel von kalmierenden Klängen und schneidendem Aufschrei, kommentierendes Schlagzeug und emotionalisierendes Holz vermitteln ein akustisches Pandämonium menschlicher Qualen und Hoffnungslosigkeit.

Zwanzig „Rollen“ sind für das kollektiv-bestimmte Geschehen zu besetzen: In Hannover gibt es neben Herrenchor und Statisterie ein Ensemble, das die eruptiv-destruktive Konfrontation von Kollektiv und individueller Belastbarkeit grandios meistert!

Bei der zweiten Aufführung sind gerade einmal gut 300 Besucher zu zählen: Trotz zahlreicher aufwühlend-unkonventioneller Aufführungen im Hannoveraner Theater gibt es offenbar noch immer Vorbehalte gegenüber „Unbekanntem“ – da ist unverdrossene Kommunikation gefragt. Im Auditorium allerdings verbreitet sich atemlose Anspannung – das Janacek-Totenhaus wird sowohl in seiner historischen Dimension als auch konkrete gesellschaftlich-individuelle Katastrophe begriffen. Außergewöhnlich lang anhaltender Applaus, der sich aus der Betroffenheits-Stille entwickelt – und zum Ausdruck der Hochachtung für einen außergewöhnlich nachdenkenswerten Theater-Abend ansteigt. (frs)

 






 Fotos: Thomas M. Jauk/Stage Pictures