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Fakten zur Aufführung 

DAS RHEINGOLD
(Richard Wagner)
14. November 2009 (Premiere)

Staatsoper Hannover


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Weißt Du, was da noch kommt?

„Das Rheingold soll nur einen flüchtigen Eindruck von Kommendem bieten. Ans Ende der Götterdämmerung gelangt und sich an die Welt des Vorspiels erinnernd, wird man hoffentlich denken: Wie zur Hölle sind wir hier gelandet?“ Diesen Gedanken formuliert Barrie Kosky im Programmheft zum Auftakt seines Ring-Zyklus’ in Hannover. Nehmen wir ihn beim Wort! Was etwa mit den Göttern passiert, das vermag der Zuschauer in der Tat nicht einmal zu ahnen. Im zweiten und vierten Bild schwebt auf schwarzer Bühne ein graues Kämmerlein mit felsigem Boden. Das kann überall und nirgends sein. Die strandtaugliche Begleitung der Götter – nur Loge tanzt hier in seinem hübsch-scheußlichen 70er-Jahre Outfit aus der Reihe – lässt zwar Assoziationen eines sonntägliches Badevergnügen der Familie Wotan zu, aber ob es denn wirklich so ist – wir wissen es nicht. Am Ende tauschen alle bis auf Loge ihre saloppe Freizeitkleidung gegen das Kleine Schwarze für sie und ihn, trinken Champagner, essen eine Torte, die wie Walhall aussieht und verschwinden im schwarzen Nichts nach hinten – eilen sie wirklich ihrem Ende zu, wie Loge sagt?

Nicht weniger Raum für Assoziationen bietet die Welt des Rheins im ersten Bild. Die Rheintöchter sind Mitglieder einer weiblichen tanzenden Zunft, die wie Revue-Girls daherkommt, mit Federn auf dem Kopf und in den Händen. Zwei Showtreppen, nach links und rechts führend, sind der Raum, auf dem sie sich bewegen. Und zu den musikalischen Bewegungen des Rheins hat Barrie Kosky seinen Statistinnen, die die nicht-singenden Rheintöchter mimen, eine famose, hochmusikalische Choreographie einstudiert. Die findet Alberich offenbar recht beeindruckend. Im schwarzen Anzug, mit schwarz gefärbtem Gesicht und nicht minder schwarzer Perücke bietet auch er viel Phantasie, zwischen einem Gorilla und Roberto Blanco ist da beim ersten Hinsehen vieles möglich, der Blick ins Programmheft klärt dann auf, es solle sich um eine Anspielung auf die Minstrel-Sänger handeln, die weißen Männer mit schwarz gefärbten Gesichtern, die in den USA ab den 1830-Jahren auftraten. Offensichtlich ist jedenfalls, dass Alberich mit seiner Verkleidung bei den Rheintöchtern kaum eine Chance sieht und daher Anzug, Perücke und Gesichtsfarbe rasch ablegt. Das macht ihn nicht attraktiver, aber er braucht dann eben keine Verkleidung mehr, um sein Spiel weiter zu treiben. Das Rheingold ist hier ebenso eine Statistin, ganz in Gold, der Star unter den tänzelnden jungen Damen. Die packt sich Alberich dann flugs über den Rücken und in einem Pappkarton ein. Von diesen Kartons gibt es dann sehr viele in Nibelheim. Eine Art Versuchslabor ist das, mit Schläuchen, Rohren, Brutkästen mit wabernden Massen darin. Hier hat Mime ihm fleißig den Tarnhelm geschmiedet, vielmehr einen schwarzen Hut mit breiter Krempe. In den vielen Pappkartons haben Alberichs Helfer das Rheingold verpackt, wie dann im letzten Bild zu sehen ist, zu allerlei goldenem Tuch und Ketten verarbeitet. Darum können sich dann Fafner und Fasolt streiten. Ein kluger Kniff, die beiden Riesenbrüder als siamesische Zwillinge mit drei Beinen, zwei Armen und einigermaßen verformten Köpfen darzustellen. Der Mord an Fasolt ist die Trennung der Zwillinge – Fafner überlebt als der stärkere. So bekommen die Götter Freia, die Göttin der Jugend, wieder.

Für ihre Stimmen bräuchten sie das nicht unbedingt, denn die funktionieren auch so bestens. Tobias Schabel als Wotan hat am Premierenabend eine Luftröhrenentzündung zugesetzt, er agierte so nur stumm auf der Bühne, wurde aber von Renatus Mészár vom Bühnenrand stimmlich äußerst würdig mit großer Autorität vertreten. Khatuna Mikaberidzes glutvollem Mezzo als Fricka war nur zu wünschen, Richard Wagner hätte ihr etwas mehr zu singen zu geben. Das galt aber auch für die mit noch weniger Text und Tönen bedachten Götterschwestern und –brüder Arantxa Armentia als Freia, Jin-Ho Yoo als Donner und Young-Hoon Heo als Froh. Erda ist hier - auch das ein packender szenischer Einfall - eine alte, nackte Frau mit langem grauen Haar. Die Urmutter kommt ganz von den Ursprüngen der Menschheit, braucht nichts, um sich äußerlich zu schmücken. Wie der Rhein ist so auch Erda eine Statistin, der Okka von der Damerau aus dem Off ihren weichen, vollen Alt lieh. Und Loge? Robert Künzli, der sich im weiteren Verlauf dieses Rings noch an den Siegfried wagen will, nutzt die Gelegenheit, sich einmal mehr von der allerbesten Seite seiner Qualitäten als Charaktertenor zu zeigen – verschlagen, intrigant, läppisch und etwas ölig.

Young Myoung Kwon und Albert Pesendorfer sind Fafner und Fasolt – und Albert Pesendorfer trauert so anrührend um Freia, dass man ihm von Herzen wünscht, er müsse sie nicht gegen diesen Hort eintauschen!

Neu im hannoverschen Ensemble ist Stefan Adam, der mit seinem hellen, wandlungsfähigen Bariton eine famose Charakterstudie des Alberich präsentierte. Sein Bruder Mime blieb auch nicht von Viren verschont, Einspringer Torsten Hofmann ließ sich kurzerhand in die Produktion einweisen und gab mit pointiertem Tenor einen Mime, der aufrichtiges Mitleid aufkommen ließ.

Die Rheintöchter Nicole Chevalier (Woglinde) Julia Faylenbogen (Wellgunde) und Mareike Morr (Flosshilde) sangen mit genauso viel Spaß, wie sie den Rhein spielten. Sollte dieser Abend, wie Kosky sagt, nur einen flüchtigen Eindruck von dem vermitteln, was da noch kommt, dann verheißt das vokal einiges – und szenisch nicht minder.

Wolfgang Bozic musste bei seinem ersten Auftritt auf der Bühne einige Buhs ertragen. Das war so nicht gerechtfertigt. Sicher gab es Passagen, in denen vor allem den Blechbläsern mehr Sicherheit zu wünschen wäre, wo ein etwas transparenterer Klang dem Geschehen auf der Bühne gut tun würde. Gleichwohl spannt Bozic mit seinem Orchester einen konsequenten dramatischen Bogen über den Abend, zaubert vor allem aus den Holzbläsern und hohen Streichern immer wieder berückende Farben heraus und scheut da, wo es angemessen ist, nicht den großen Ausbruch, der dann auch groß, aber nicht pathetisch klingt.

Die Buh-Rufer hatten sich beim zweiten Vorhang dann auch wieder besänftigt, feierten das Ensemble und vor allem Barrie Kosky und sein Team mit frenetischem Applaus und vielen Bravi. Es bleibt, noch einmal, zu sagen – wenn das wirklich nur der flüchtige Eindruck von dem war, was noch kommt, dann könnte da noch eine ganze Menge kommen.

Christian Schütte

 










 Fotos: © Thomas M. Jauk