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Fakten zur Aufführung 

IOPAL
(Hans-Joachim Hespos)
13. Mai 2005
(Uraufführung: 30.4.05)

Staatsoper Hannover

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Gesang

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Genial!

Eigentlich ist in Hannover gerade iOPAL-Zeit. Eine Zeit, in der Musik ist, auch wenn sie nicht ist. So denkt sich Hans-Joachim Hespos seine Große Oper, als nach Außen hin „offenes Materialfeld“. Man weiß also nicht so genau, wann Oper sein soll, ob bereits bei den vielen Damen, die vor der „Aufführung“ Räume und Menschen verzaubern oder bei dem rhythmischen Türenballern des Besuchergetuschel kommentierenden Zischchors, oder wenn „Dirigent“ Johannes Harneit drei Finger hebt.

Man kann vielleicht besser sagen, wann man sich in der Oper fühlt: Nämlich allerspätestens genau dann, wenn die grandiose Sopranistin Yuko Kakuta mitten aus dem erhöhten „Orchester“ plötzlich anfängt, die Geburt der Frau aus dem Geiste der Musik zu besingen. Denn von hier aus öffnet sich eine Verbindungslinie zum Schöngesang, Klagegesang, Schrei und Auslaut aller Jahrhunderte: „arOma“ nennt Hespos das.

Der Gesang wird bei Hespos zur Oper weitergesponnen, also sind alle Sängerinnen und Sänger schon Musik und sind auch Szene: Michaela Schneider rührt mit ihren brennend-unfassbaren Melismen (ihre tanztheaterreife Darstellung also inbegriffen) an dieser Gattungsgrenze, Francesca Scaini setzt diskantisch in „FALSE“ bisher sicher verstanden Gemeintes außer Kraft und als famos-gelenkiger Britishspeaker, schmerzlich „Hoher Tenor“ und grausam-ängstigender „Tiefer Bass“ vermittelt Graham F. Valentine die ewige Schwierigkeit einer notwendigen Metamorphose des Männlichen in „TINAP“ so lange, bis manche Männer im Publikum tatsächlich nicht mehr anders können, als mit einzusteigen. Theater wirkt.

Einen schrägen Raum hat Anna Viebrock für ihr Spiegelspiel geschaffen. Zwischen den mal mit, mal ohne Instrument eintretenden und sich im Nichtspiegel spiegelnden Personen bleibt stets eine bedenkenswerte Differenz. Man sieht zum Beispiel zwei Kinder, denkt an repressive Kindheit: musikalisch ist der Moment zu hören, in dem ein Kinderbewusstsein realisiert, dass Arbeit wichtiger ist – szenisch werden die Kleinen nach kurzem Blick in eine Tiefe da wegbestellt. Die Vermittlung von Szene und Musik gelingt Viebrock herausragend und bewundernswürdig: keine ganz eindeutigen Zuschreibungen, keine positivklare Orientierung und dennoch Wirkungen von größter Intensität. Dieser Raum schafft ein anderes Zeitempfinden und man widmet sich den Dingen darin. Von Ferne erklingt dann stellenweise eine schwebende Chormusik der Vergangenheit, weit weg, aber eben noch durch Türen zu erreichen.

Man darf nun nicht anfangen, das „Orchester“ unter (dem wie immer hundertprozentigen) Johannes Harneit zu loben, sondern müsste eigentlich die Musiker, die hier Schauspieler, Geräuschemacher und Ich sind, einzeln kritisieren: allerdings ist mir das unmöglich. So viel: Das Blech erzeugt in Posaune und Horn erstaunliche und ungekannte Drücke, die Pauke kommt final-fatal in stetig eindonnernder Weise, die Streicher haben oftmals etwas hintergründig Abgründiges und die Holzbläser fügen sich einmal derart schrecklich in ein recht kurz zerberstendes Klangphänomen des Gesamtorchesters ein, dass sich für mich darin das Ereignis des 11. September, seine Folgen und seine Ursachen authentisch aufheben.

Diese wahrhaft Große Oper „iOPAL“ schließt musikalisch, szenisch und gesanglich an den letztjährigen Nono-Erfolg nahtlos an. Das derzeit noch mit unnötigen Berührungsängsten kämpfende Publikum wird sicherlich – ähnlich wie bei Konwitschnys Inszenierung von „Al gran sole carico d’amore“ – die letzten Vorstellungen komplett auskaufen, allein schon, um diese neueste Musik selbst zu entdecken, zu spiegeln und zu beurteilen. (wh)


Fotos: © Matthias Horn