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Fakten zur Aufführung 

PETER GRIMES
(Benjamin Britten)
20. September 2007


Staatsoper Hannover

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Kollektive und individuelle Schuld

Barrie Kosky inszeniert Brittens Nachkriegs-Oper (1947) als kollektives Dilemma und individuelles Scheitern: Peter Grimes ist eine unsoziale Figur voller Widersprüche, die Bewohner des Hafenstädtchens sind eine inhomogene community mit allen Ingredienzien menschlicher Nähe und kollektiv agierender Kommunikation. Beide werden schuldig, auch Ellen Orford ist keine Mutter Teresa der Leidenden. In faszinierendem Bühnenhandeln demonstriert Kosky die offenkundige Ausweglosigkeit der Menschen mit ihren jeweils ambivalenten Aktionen und Motivationen.

Florian Parbs stellt Hunderte von Holzkisten auf die Bühne, die aufeinander gestapelt, umgeworfen, zu Wänden aufgebaut, geöffnet und wieder umgebaut werden – und als Sitzgelegenheiten, räumliche Strukturen und als Verstecke assoziationsreiche Hinweise auf die Befindlichkeiten der Akteure vermitteln. Es entsteht kein Bühnen-Realismus, es wird auch nicht an das Symbol-Verständnis appelliert – vielmehr entstehen wechselnde Konstellationen für emotionales Geschehen.

Wolfgang Bosic interpretiert Brittens erste große Oper mit dem vorzüglich eingestimmten Niedersächsischen Staatsorchester als gebrochene Abfolge prägender Musik-Traditionen: Brittens Verwandtschaft zu Berg wird hörbar, aber auch seine Liebe zu Verdi, seine Vertrautheit mit der amerikanischen Musik von Gershwin und Bernstein, aber auch das Bemühen um einen spezifisch-eigenen Klang mit überraschender Instrumentierung und dem unüberhörbaren Willen zur musikalischen Charakteristik der so gefährdeten Personen.

Kelly God kann krankheitshalber nur agieren – und das gelingt ihr als engagiert-hilfloser Ellen Orford mit bemerkenswerter Authentizität. Brigitte Hahn singt die Rolle vom Bühnenportal mit allen Differenzierungen eines hoffnungslos verunsicherten Charakters – flexibel in der Intonation, ungemein ausdrucksstark in der Phrasierung. Ungemein wandlungsfähig in der Darstellung und stimmlich variabel auf den selbstbewusst-rechthaberisch-brutal-empfindsam-bemitleidenswerten Peter Grimes eingestellt ist Robert Künzli – eine Glanzleistung!

Mit u.a. Brian Davis als Balstrode, Sonia Borowski-Tudor als Auntie, Ian Caley als Boles, Tobias Schabel als Swallow, Xenia Maria Mann als Mrs. Sedley und Hans Sojer als Reverend sind glaubwürdig-kompetente Solisten der Staatsoper Hannover zu erleben – wie auch der Chor mit individuell-kollektivem Handeln und kalkuliert-aggressivem Gesang den Erfolg des Abends sichert.

Das Publikum bezeugt seine Zustimmung durch atemloses Verfolgen des Geschehens, durch Zwischenapplaus und durch intensiven Schlussbeifall. Die Spielzeit beginnt in Hannover mit einer fulminanten Großtat ! (frs)

 


Fotos: © Thomas M. Jauk