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Fakten zur Aufführung 

GREEK
(Mark-Anthony Turnage)
15. Mai 2008 (Premiere)

Staatsoper Hannover
Ballhaus eins


Points of Honor                      

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Zivile Verwahrlosung

Turnages freche Trash-Oper – 1988 bei der Münchner Biennale uraufgeführt – ist eine aggressive Auseinandersetzung mit der sozialen Demontage der Thatcher-Zeit: Steven Berkoffs Schauspiel findet musikalische Entsprechung durch verfremdete Rock-, Pop-, Soul-Elemente, durch fast-klassische Streicher-Lyrismen, durch provozierende Atonalität, durch eruptives Percussion, durch gesangliche Herausforderungen höchster Schwierigkeitsgrade.

Lutz de Veer wird mit den 19 Musikern des Niedersächsischen Staatsorchesters – die auch schon mal zur Trillerpfeife greifen, mit den Füßen trampeln, kollektiv Slogans skandieren – diesem kalkulierten musikalischen Tohuwabohu engagiert gerecht. Einzelne Elemente korrespondieren mit dem chaotisch-verzweifelten Bühnengeschehen, der nahezu revolutionäre Gesamteindruck entwickelt sich in den Köpfen des Publikums.

Auf der Bühne – vor dem Orchester – Tonnen, Kühlschränke, Autoreifen, Ratten und krümelnde Corn Flakes (Friedrich Eggert) – zusammengehalten durch Rudimente griechischer Skulpturen - die klassische Zivilisation ist zerbrochen.

Bernd Mottl fordert den unbedingten Einsatz der Solisten: körperlich in Extremsituationen herausgefordert, höchstes Tempo der Handlung, intensiv in der authentischen Darstellung - glaubwürdiger Zusammenhang von differenziertem Gesang und interpretierender Schauspielkunst. Und das vollkommen im Dienst der zu vermittelnden Botschaft: Das Überleben des Individuums in einer zerstörten sozialen Welt. Allerdings bleiben die Verantwortlichen außen vor – es geht um das Elend der Entrechteten, um ihren verzweifelten Überlebenswillen.

Alistair Shelton-Smith vermittelt einen Eddy - den unbegriffen-unkontrolliert agierenden underdog - mit fantastischer Körperlichkeit und vermag die extremen stimmlichen Herausforderungen adäquat zu gestalten. Katja Beer beeindruckt als vital-lebenshungrige (Stief-)Mutter, phrasiert situations-stimulierend, überzeugt mit stimmlicher Kompetenz. Okka von der Damerau gibt die quasi-naive „Frau“ mit viel Identifikationskraft, darstellerischer Präsenz und hochvariabler stimmlicher Virtuosität. Grandios der „Spezialist“ für „modernes“ Musiktheater: Richard Salter! In der Darstellung frappierend authentisch, stimmlich vom krachenden Parlando bis zu schwebendem Lamento hinreißend kompetent – dieser Sänger ist zu Lebzeiten eine Legende!

Im experimentell offenen Ballhof eins verfolgt ein motiviert-informiertes Publikum das hemmungslos deutliche musikalische und darstellerische Geschehen mit gespannter Aufmerksamkeit, lässt sich auf den schwarzen Humor ein, reflektiert den inszenierten Zivilisationsschock und applaudiert den Aktiven mit großem Beifall.

PS.:Im Programmheft findet sich ein „Fotoroman“ zur Geschichte der Sophie-Scholl-Gesamtschule in Wennigsen – ein wunderbares Resultat intensiver Vorbereitung. (frs)
 




Fotos: Staatsoper Hannover