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Fakten zur Aufführung 

DIE FROMME HELENE
(Edward Rushton)
11. Februar 2007 (Uraufführung)

Staatsoper Hannover

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Wilhelm Busch-Inhalation in 17 Zügen

Was habe ich denn Böses getan, dass ich so schrecklich verbrennen muss?“ fragt eine der bekanntesten Figuren Wilhelm Buschs kurz vor dem Ende ihres irdischen Daseins. Dabei bedient sie sich einer ausladenden Tonsprache, die fast an Puccini erinnert. „Wir machen hier nicht große Oper“, bekommt sie grantig zur Antwort – und das trifft den Nagel auf den Kopf. Die „Fromme Helene“ guckt verdutzt.

Ihm, dem Zeichner, Maler und Schriftsteller Wilhelm Busch ging es nie um tiefgreifende dramatische Konflikte oder ausleuchtende Charakterzeichnungen. Wohl beobachtete er seine Umgebung mit schonungslosem Blick, aber immer liebevoll und kritisierte auf diese Weise den bürgerlichen Alltag.

Und genau diesen Duktus, der das gesamte Schaffen Buschs durchzieht, greifen der britische Komponist Edward Rushton und seine Librettistin Dagny Gioulami in ihrer Auftragsarbeit für die Staatsoper Hannover auf – einer der Beiträge zum Busch-Jahr 2007, in dem der 175. Geburtstag des Meisters gefeiert wird. In Wiedensahl, einem Dorf östlich der niedersächsischen Landeshauptstadt, erblickte Busch das Licht jener Welt, deren spießige Moralvorstellungen er Zeit seines Lebens süffisant auf die Schippe nahm. Gerade auch in der „Frommen Helene“. In Edward Rushtons Oper fristen Typen ihr Dasein, die das Regieteam um Erich Siedler in eine schräge Welt à la Gelsenkirchener Barock verfrachtet (Gregor Müller schuf die Bühne, Bettina Latscha die Kostüme). Normverletzungen werden toleriert, solange sie nicht offenbar werden.

Da ist der biedere Onkel Nolte, für den die strenge Einhaltung des Rhythmus’ zum obersten Ordnungsprinzip wird. Schon bald trifft der scheinheilige Vetter Franz ein und frönt seinem Hang fürs Küchenpersonal. Helene ist längst da, dort draußen auf dem Lande, „wo sanfte Schafe und die frommen Lämmer sind“. Fromm indes ist Helene wahrlich nicht. Überdies lässt sie sich bei ihren Verfehlungen auch noch erwischen – und fährt dafür brennend in die Hölle.

Erzählt wird Buschs Geschichte eigentlich ganz unspektakulär. Zum originalen Personal hinzu treten der Dichter Busch höchstselbst und sein Alter Ego, ein Analytiker namens Bart. Beide sorgen für gewisse Unruhe, ganz ähnlich wie die zwei Feuerwehrmänner, die den ganzen Abend über verzweifelt versuchen, die Luft im „Ballhof eins“ (der Spielstätte dieser mit Applaus reich beschenkten Uraufführung) nikotinfrei zu halten - und letztlich doch am altbekannten Usus des Qualmens kläglich scheitern.

Rushton, 1972 in Norwich geboren, untertitelt seine rundherum gelungene 70-Minuten-Oper als „Wilhelm Busch-Inhalation in 17 Zügen“, folgt damit den 17 Szenen der Vorlage, von denen einige zusammengefasst werden, eine aber in gesteigertem Tempo wiederholt wird: nämlich die, in der Helene ihre erste Unbotmäßigkeit begeht, näht sie doch ihrem Oheim die Ärmel des Nachthemdes einfach zu! Die Wiederholung dient als Warnung vor der Verletzung gesellschaftlicher Konvention.

Rushton ist ein Komponist, der sehr genau auf das gesungene Wort, auf die Sprache achtet und quasi an dieser entlang komponiert. Er kommt im Fall der „Frommen Helene“ mit einem 14köpfigen Kammerensemble aus, einschließlich des Schlagwerks, das hier aber keine so dominante Stellung einnimmt wie oftmals in anderen zeitgenössischen Opern. Die Streicher sind auf ein Minimum reduziert, das Holz ist gut vertreten, dazu drei Flöten und eine Trompete. Eine äußerst farbige, abwechslungsreiche Musik, mit akribischer Präzision gespielt von Mitgliedern des Niedersächsischen Staatsorchesters Hannover.

Andreas Wolf am Dirigentenpult gelang es dank seiner klaren Zeichengebung grandios, die komplizierte, verschachtelte Rhythmik der Partitur in einen wie selbstverständlich wirkenden Fluss zu bringen. Ein origineller Farbtupfer dabei: das Harmonium! Das wird - und auch hier spürt man sehr genau den Geist Wilhelm Buschs - seinem Spottnamen als „evangelischer Pietistenpumpe“ bedauerlicherweise gerecht, unterstreicht es doch die salbungsvollen moralischen Reden von Onkel und Tante. Schlimmer noch: das wattige Gesäusel dieses Instruments wird Fundament des Pilgerchores, in den hinein sich die kinderlose Helene einreiht, bittend um Familiennachwuchs (der prompt geliefert wird). Wilhelm Busch hätte an derlei Ideen gewiss die allergrößte Freude gehabt.

Rushton trägt die Sänger auf Händen, lässt ihnen freie Bahn, unterstreicht ihre Möglichkeiten. Carmen Fuggiss in der Titelpartie gibt sich äußerst expressiv, bleibt bisweilen allerdings textunverständlich. Sung-Keun Park ist ein lasziver Vetter Franz, Xenia Maria Mann und Edgar Schäfer ein herrlich schlichtes Tanten- und Onkel-Paar, in Rage gebracht auch durch den Autor Wilhelm Busch (mit großer Kompetenz: Frank Schneiders) und seinen Analytiker John In Eichen, der die Figur des Bart mit nobler Stimme ausfüllt.

Wilhelm Busch, so zeigt die „Fromme Helene“, hat uns nach wie vor viel zu sagen - um so mehr, wenn seine Weisheiten mit soviel Liebe, Ironie und Hintersinn in Szene gesetzt werden wie in Rushtons neuem Werk. Dem wünscht man weite Verbreitung. (cws)


Fotos: © Christian Brachwitz