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Fakten zur Aufführung 

LE NOZZE DI FIGARO
(Wolfgang Amadeus Mozart)
10. September 2009 (Premiere)

Staatsoper Hannover


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Neue Perspektiven

Ist alles nur Theater? Eine Komödie, von der jeder von Beginn an weiß, wie sie ausgeht? Während der Ouvertüre nimmt das gesamte Personal in Ingo Kerkhofs neuer Nozze di Figaro an der Staatsoper Hannover auf der Bühne Platz und sieht dem anfänglichen Spiel zwischen Figaro und Susanna zu. Sie sitzen vor einer grün tapezierten Holzwand, davor steht ein Flügel, und das war’s auf der Bühne. Am Anfang sieht alles danach aus, als wolle Kerkhof dem Zuschauer eine „Theater auf dem Theater“-Version des Stücks mit Mitteln präsentieren, die wahrlich nicht neu sind – die Geschichte spielt sich vor den Augen aller ab, alle sind ständig auf der Bühne, für keinen gibt’s mehr Überraschungen. Doch was zu Beginn noch nach einer Inszenierung aussieht, deren handwerklicher Zugriff am ehesten für Langeweile sorgt, entpuppt sich im Lauf des Abends immer mehr als eine puristische Sicht auf das Stück, die viel Raum für die eigene Vorstellungskraft lässt. Spätestens beim ersten Auftritt des Chores kommt noch eine weitere Dimension dazu. Die Chorsänger haben vor der Vorstellung im Publikum Platz genommen und singen von dort, Figaro dirigiert sie von der Bühne aus, der Zuschauerraum ist beleuchtet. Da spielt sich eine Geschichte ab, die so an unser aller Leben dran ist, dass wir alle Teil davon sind. Die Bühne ist kein fiktiver Ort, sondern sie bleibt Bühne – die Theaterbühne genauso wie die, auf der sich der tägliche Wahnsinn des Lebens abspielt. Im vierten Akt fehlt jede Kulisse, ohne äußerliche Ablenkungen wird die Geschichte zum Ende gebracht. Ob diese Sicht auf Mozarts unschlagbare Komödie gefällt oder nicht, eines ist sicher – sie regt unbedingt zum Nachdenken über das Stück an und eröffnet so jedem Zuschauer seine ganz eigenen, neuen Perspektiven, aus denen er den Figaro so vorher vielleicht noch nie gesehen hat.
Genauso wie die Inszenierung braucht auch das Niedersächsische Staatsorchester etwas Zeit, um zu seiner Form aufzulaufen. Die Ouvertüre ist leicht verwackelt, die Bläser sind noch nicht ganz bei sich. Im ersten Duett zwischen Figaro und Susanna hat Dirigent Rainer Mühlbach noch leichte Schwierigkeiten, Bühne und Orchester exakt zusammenzuhalten. Das alles mögen aber Premierennervositäten sein, denn spätestens ab dem Finale des ersten Aktes liefert das Staatsorchester – im angehobenen Graben – einen schlanken, schlackenlosen Mozart, der auch forsch und griffig klingt, dabei nie die notwendige Leichtigkeit verliert.
Vor allem ist dieser Figaro ein Ensemblestück. Und Hannover hat dieses Ensemble bis in die kleinsten Rollen zu bieten. Es fällt schwer, ist im Grunde unmöglich, einzelne herauszugreifen. Bemerkenswert ist, welche Entwicklung einige Mitglieder des Ensembles seit Michael Klügls Amtsantritt 2006 durchlaufen haben. Jin-Ho Yoos kerniger, klangschöner Bariton gewinnt von Partie zu Partie immer mehr an Differenzierungsvermögen, verfügt jetzt über viele Schattierungsmöglichkeiten und Zwischentöne, was seinem Grafen starkes Profil verleiht. Arantxa Armentia gibt eine zwar sichtlich gedemütigte, aber dennoch in jedem Moment souveräne Gräfin. Inzwischen ist sie mit ihrem sehr charaktervollen Sopran hörbar im Zwischenfach angekommen und macht Lust auf mehr Partien in dieser Richtung.
Tobias Schabels Bass hat so viel Flexibilität, dass er sich anscheinend jede Partie zu Eigen machen kann. Er gibt den Figaro nicht als Untergebenen, vielmehr als Rivalen des Grafen auf gleicher Ebene. Das ist auch nötig, um Ania Vegrys selbstbewusste Susanna für sich einzunehmen. Die junge Sängerin kam direkt von der Hochschule für Musik und Theater Hannover ins Ensemble und hat sich hier in kurzer Zeit wichtige Partien des lyrischen Fachs mit großem Erfolg erarbeitet – da bahnt sich eine hoffnungsvolle Karriere an. Mit Beginn der neuen Spielzeit ist Monika Walerowicz fest ans Haus gekommen. Stimmlich ist sie mit ihrem durchaus ins dramatische tendierenden Mezzo zwar etwas über den Cherubino hinaus, überzeugt aber durch brilliante Stimmführung und die klangliche Schönheit ihres voluminösen Organs. Young Myoung Kwon und Jörn Eichler überzeugen in ihren Doppelrollen als Bartolo/Antonio bzw. Basilio/Don Curzio genauso wie Katja Beer als Marcellina, Anke Briegel nicht minder als Barbarina. Ein großer Abend des hannoverschen Ensembles war das und damit auch einmal mehr ein Plädoyer für das Ensembletheater!

Christian Schütte

 






 
Fotos: © Thomas M. Jauk