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Fakten zur Aufführung 

DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL
(Wolfgang Amadeus Mozart)
21. Oktober 2010
(Premiere: 2. Oktober)

Staatsoper Hannover

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Sklaven der Liebe?!

Ingo Kerkhof hat in Hannover bereits eine Reihe von Inszenierungen erarbeitet, zuletzt seinen ebenso ungewöhnlichen wie hochkonzentrierten Mozart-Figaro. Jetzt blieb er beim Komponisten, suchte sich Die Entführung aus dem Serail aus – und lässt auf der Bühne genau dieses Serail vollständig verschwinden, um dem Zuschauer zu zeigen, was mit den Figuren wirklich los ist und wer sie eigentlich sind, nämlich die Sklaven ihres eigenen Liebesverhaltens. Der Palast des Bassa Selim ist eine Art quadratischer Käfig, von Fransenvorhängen begrenzt und auf der Bühne funktional drehbar (Bühnenbild: Anne Neuser). Alles ist recht finster, und auch die Sicht auf das Liebesverhalten der einzelnen Protagonisten ist bei Kerkhof eher düster. Belmonte sucht seine Konstanze nur mit verhaltener Leidenschaft, sie selbst freut sich gar nicht mal besonders, als sie den Geliebten wieder sieht, und auch Blondchen und Pedrillo scheint hier nicht das zu verbinden, was im Libretto angelegt ist. Überhaupt entwickelt Kerkhof im Verlauf des Abends einen recht freien Umgang mit der Vorlage. Dass die Dialoge stark gekürzt und sprachlich aktualisiert sind, entspricht schon seit längerem gängiger Praxis. Wenn im Haus des Bassa eine Art Barpianist zwischendurch andere Werke Mozarts und Paraphrasen über verschiedene Momente nicht nur aus der Entführung anstimmt, dann lässt das erstmal hinhorchen. Bassa Selim ist hier nicht der autoritäre Herrscher, vielmehr der Gastgeber für eine Geschichte, die den Beteiligten die Chancen und Grenzen ihrer Liebesgeschichten aufzeigen soll. So scheint es nur konsequent, die Rolle hier in Gestalt der Schauspielerin Nicole Coulibaly zu besetzen, die im schwarzen Anzug (Kostüme: Stephan von Wedel) die Figur vor allem androgyn schillern lässt.
Kerkhofs Konzept entwickelt immer wieder stimmungsstarke Momente, die ganz aus einer dichten und konzentrierten Personenführung heraus entwickelt sind. Das ergibt manchmal große Bilder, sorgt manchmal aber auch für starke Irritationen, weil das Verhalten der Protagonisten so weit über die eigentliche Geschichte hinausgeht, dass es unerklärlich wird. Diese Regie bleibt durchaus im Gedächtnis, sicher auch gerade weil sie so viele Fragen aufwirft.
Hannovers neuer Kapellmeister Ivan Repušić liefert einen gelungenen Premiereneinstand. Er nimmt die Entführung als ein großes Stück Kammermusik, leicht, federnd, transparent. Recht flotte Tempi und ein stets waches Ohr für die Bühne zeichnen sein Dirigat aus. Da fiel es nicht ganz so schwer ins Gewicht, dass das Staatsorchester vor allem in den Streichern an diesem Abend die letzte Präzision vermissen ließ.
Sängerisch überzeugten vor allem Shavleg Armasi als wunderbar aufgeblasener Osmin und Hinako Yoshikawa als höhen- und koloratursichere Blonde. Sung-Keun Park als Belmonte ließ sich vor der Vorstellung als erkältungsbedingt indisponiert ankündigen – und konnte leider in der Tat keinen wirklichen Eindruck davon vermitteln, was er aus dem Belmonte machen kann, da die Stimme so eng und unfrei klang, wie man es von ihm sonst nicht gewohnt ist. Zwiespältig bleibt der Eindruck von Dorothea Maria Marx’ Konstanze. Sie hat alles, was die Partie braucht, einen äußerst koloraturwendigen, dabei über das leichte und lyrische Fach schon hinausweisenden Sopran mit tragfähigem Kern und schönem Strahl. Ob auch sie an diesem Abend nicht in bester Form war oder die Partie grundsätzlich noch mit zu viel Kraft angeht? Da waren Schärfen zu hören und Intonationstrübungen in der Höhe, die bei ihr so nicht sein müssten. Jörn Eichler vervollständigte mit seinem wendigen, insgesamt noch etwas nasal geführten Tenor als Pedrillo das Ensemble.
Knapp drei Wochen nach der Premiere blieben einige Plätze im Haus unbesetzt, und so ganz schien der Funke nicht auf das Publikum überzuspringen. Am Ende gab es freundlichen, aber nicht allzu begeisterten Beifall.

Christian Schütte

 










Fotos: Jörg Landsberg