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Fakten zur Aufführung 

DIE BASSARIDEN
(Hans Werner Henze)
13. September 2008 (Premiere)

Staatsoper Hannover


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Regie versagt

Henzes Aufschrei gegen den emotionalisierten Massen-Wahn ist in Hannover ein musikalisches und sängerisches Elementar-Erlebnis der radikal-kompromisslosen Art . Stefan Klingele wirft das aufgedreht-präzise Niedersächsische Staatsorchester mit voller Verve in Henzes aufwühlende Partitur, organisiert die aufbrausenden Schlag-Instrumente zu hämmernder Intensität, kontrastiert dazu Henzes raffiniert-doppelbödige Strategie der scheinbar konfliktfreien „populären“ Passagen mit kommunikativ wirksamer Hintergründigkeit, dramatisiert die existentiellen Konflikte mit permanenter Kraft . Das Orchester gibt den archaischen Mythos vor, erregt und fasziniert mit permanenter Leidenschaft!

Das Sänger-Ensemble geht an die geforderten, schier unbegreiflichen stimmlichen Grenzen: Tobias Schabel gibt dem Alt-Herrscher Kadmos staatsmännische Statur, wird mit dem Wechsel von beratender zu störender und endlich zu zerstörter Attitüde mit variabel-ausdrucksvollem Bariton den Anforderungen eindrucksvoll gerecht. Robert Künzli ist ein intrigant-guruhafter Dionysos mit abgründigen Zwischentönen bei voll kalkulierten Höhen-Ausbrüchen und einer stupenden Mittellage. Brian Davis fasziniert als komplexer Machtmensch Pentheus mit enormen stimmlichen Variationsmöglichkeiten: herrisch aufbrausend, zutiefst verzweifelt – und das bei höchster stimmlicher Präsenz und kontrolliert-emotionaler Ausdruckskraft. Mit Arantxa Armentia ist eine hochdramatische Agaue zu erleben, die keine Probleme hat, ihre präzise Stimme im Tumult orchestralen Furors zu behaupten. Okka von der Damerau beeindruckt als ungemein durchsetzungsfähige Beroe; Karen Frankenstein verleiht der Autonoe nachdrückliches stimmliches Profil; Tadeusz Galczuks Teiresias vermittelt die Ratlosigkeit des Sehers mit bewegender Stimme; und Jin-Ho Yoo ist ein kernig artikulierender Hauptmann. Das Optimum: Der kolossal stimmkräftige und spielfreudige Chor der Staatsoper Hannover (Leitung: Dan Ratiu) – das mythisch-bedrohliche Geschehen wird zur „Chor-Oper“!

Dies alles spielt auf einer Bühne, die als Kulisse einer parlamentarischen Regierungsbank beginnt, zusammenstürzt und auf den „Trümmern“ zum Finale gelangt (Wilfried Buchholz).

Was sich darauf abspielt, ist allerdings von erschütternder Belanglosigkeit: Tilman Knabe leistet einen szenischen und dramaturgischen Offenbarungseid. Plattes realistisches Bühnenhandeln kann den entsprechenden Fragen nach der „Bedeutung“ nicht ausweichen: Da knallt eine 70er-Jahre-Soldateska das Kadmos-Regime ab, die dann aber auch das Pentheus-System beseitigt und am Ende die Dionysos-Gemeinde gnadenlos umnietet. Was für ein hirnrissiges Konzept, verstärkt durch soldatische Wachen (in den aktuellen Kostümen mit MPs von Gabriele Rupprecht) in den bunkerähnlichen Foyers der Hannover-Oper. Die Ekstasen der Dionysos-Masse sind – natürlich – ein Gruppensex; die Pentheus-Reste sollen mit einem schwarzrotgoldenem Trauerkranz versehen werden, die Träger werden abgeknallt – und auf taucht ein -- Geistlicher, na klar: Dionysos. Es fällt schwer, soviel historische Ignoranz auch nur einigermaßen ernst zu nehmen. Knabe ist an seinen standardisierten Pseudo-Provokationen gescheitert, verletzt den inneren Kern des Henze-Engagements und ignoriert die elementare Wucht der Mythologie. Das Ergebnis: Langweiliges Getue ohne inhaltliche Konsistenz.

Das wunderbar gemischte Publikum im Hannover-Opernhaus reagiert mit ein paar müden Bravos und ebenso unengagierten Buhs auf die Regie (da haben wohl auch die Knabe-Claqueure nicht mitspielen wollen!) -- feiert Sänger und Orchester enthusiastisch.

Der musikalisch-sängerische Eindruck ist auf alle Fälle nachhaltig, propagiert die Leidenschaftlichkeit „moderner“ Musik und garantiert ein volles Haus für die folgenden Vorstellungen. (frs)
 




Fotos: Staatsoper Hannover