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Fakten zur Aufführung 

ACI, GALATEA E POLIFEMO
(Georg Friedrich Händel)
31. Januar 2009

Ballhof eins
Staatsoper Hannover


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Affekte und Emotionen

Da tut sich auf der spartanischen Bühne von Hannovers Ballhof eins musikalisch und sängerisch geradezu Wundersames: Händels frühes Werk (Neapel 1708) wird – die beengende Affekten-Lehre sprengend – zu einem mitreißenden Furioso höchst bedrängender Emotionen, zu einer animierenden Kontroverse hoffnungsloser Liebe. Carmen Fuggiss verleiht dem chancenlosen Aci die Statur des bedingungslos Liebenden, fasziniert mit gefühlsgeladenen Lamenti, vermittelt mit brillanten Koloraturen die Seelen-Not des hilflos Ausgelieferten, beherrscht die barocken Anforderungen mit emotionalem Ausdruck und gelangt mit elegischen und kämpferischen Nuancierungen zu einer bewegenden Interpretation. Mareike Morrs eindringlich-variabler Mezzo verleiht der bedrängten Galatea ambivalent-opferbereiten Charakter – beeindruckend in verletzten Tiefen und aufbegehrenden Höhen, emotional in den barocken Affekten. Tobias Schabel gibt den enttäuschten Polifem als brutalen Liebhaber, überzeugt mit einem faszinierend variablen Bass-Bariton, wechselt die Register von schwarzer Tiefe zu heller Kopfstimme, und wird souverän-ausdrucksstark mit den rhythmischen Herausforderungen barocker Stimm-Variationen fertig.

Andrea Sanguinetti nimmt mit dem hoch motivierten Kammer-Ensemble des Niedersächsischen Staatsorchesters die Aufgabe lustvoll an: da bestimmen drängende Tempi die Musik, da gibt es kein Nachlassen in der Intensität, da kommunizieren differenziert aufspielende Streicher mit virtuoser Oboe und alarmierenden Trompeten - dabei permanent in bravouröser Abstimmung mit den Protagonisten auf der Bühne!

Ovid hat in seinen Metamorphosen in den Aci-Galatea-Mythos das Monstrum Polifem eingeführt, schafft damit dramatische Konstellationen; der junge Händel nutzt dies für eine komprimierte Fülle an exaltierten Affekten, forciert temporeiche Rhythmen und beweist seinen genialen Instinkt für emotionalisierende Musik. Hannovers Oper ist zu danken, dieses Werk – vergessen nach Händels Acis und Galatea von 1718 – wieder entdeckt zu haben.

Aber weiß Gott, was Christian Carsten dazu getrieben hat, die Story in eine läppische Zweier-WG mit einem brutalen Stinkstiefel-Nachbarn zu verlegen – da braucht es schon viel guten Willen des Publikums, um die archetypisch-emotionalen Konflikte und Ambivalenzen zu akzeptieren. Wieder mal lässt sich ein Opern-Regisseur dazu hinreißen, abstrakt-archaische Mythen platt zu „aktualisieren“ – und damit hoffnungslos zu scheitern.

Der mies-improvisierte Bühnenraum von Alexandre Corazzola konterkariert die tobenden Leidenschaften, schafft mit Cornflakes und Camping-Möbel ein triviales Ambiente – nimmt der Konstellation von vornherein jegliche Emphase.

Auf der kargen Tribüne des Ballhofs eins benötigt ein konzentriert-aufnahmebereites Publikum einige Zeit, um sich auf die eklatante Diskrepanz zwischen Musik/Gesang und lausigem Inszenierungskonzept nebst poor theatre-Bühne einzustellen. Am Schluss emphatischer Applaus für SängerInnen und Orchester! (frs)
 




 
Fotos: Staatsoper Hannover