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Fakten zur Aufführung 

SIMON BOCCANEGRA
(Giuseppe Verdi)
12. Februar 2006
(Premiere: 9.2.06)

Hamburgische Staatsoper

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Momento Mori.

Nach dem Gang des Matthias Grünewald durch das Deutschland der Reformationszeit, nun der des Korsarendogen Simon Boccanegra von Genua durch das Italien der Frührenaissance. Beides Lebensgänge, die Wahrheit im Endlichen finden. Der Maler Mathis erinnert sich ganz zuletzt noch an das, was er liebte.

Und wenn nun Claus Guth, verdeutlicht in einem szenischen Vorspiel, den „Simon Boccanegra“ interpretiert als Bewusstseinsmoment des nahenden Todes, so sind da zwei weit auseinanderliegende Ereignisse in seinem Leben als die zentralen Erinnerungsorte seines Herzens: Zuerst erscheint die früh entrissene Liebe zu Maria Fiesco, die Guth schlüssig und anrührend vom Hintergrund ins Zentrum des Prologs holt. Ihr choreographierter Selbstmord wirkt wie ein Spiegelbild aus der rückschauenden Vorstellungswelt des Geliebten. Wie dann aber auch das fünfundzwanzig Jahre spätere Wiederaufkeimen des Glücks für Simon durch Amelia Grimaldi, alias Maria. Seine seit frühen Kindertagen vermisste uneheliche Tochter von der patrizischen Maria. Sie wird ihm nun alles, sieht ihn und sich jedoch durch innere wie äußere Zusammenhänge auf das Heftigste bedroht.

Bedeutung und Konsequenz des neuen Glücks aufzuzeigen, das ja ähnlich in Boccanegras Leben hereinbricht wie die Idee von der Antike in das Italien des 14. Jahrhunderts, verpasst Guth. Rausschmeißer ist da bereits die frühmorgendliche Meerszene der Amelia, die hier am Tisch mit ihren unbekannten Familienmitglieder Platz nimmt und ihr „Come in quest’ ora bruna“ noch etwas simpler als bei Verdi absingt. Im Hintergrund des Zimmers ein wohl nur als ästhetische Panne zu bezeichnendes Sturmbild auf See mit abtreibender Besatzung in der Jolle (Natur = Gefahr). Guth möchte die – eigentlich erst spät aufgedeckte – Familienstruktur à la Bert Hellinger schon gleich aufstellen und nimmt das allzu wörtlich, anstatt die psychotherapeutische Methode theatralisch zu denken – als interpretierbares Standbild, Gebärde oder Pantomime, die dem Betrachter Einsichten in die inneren Beziehungslagen vermittelt, wie es ja im Schauspiel ein Michael Talke auch mal gerne macht. Das bleibt aus.

So dass sich diese Inszenierung trotz des genialen Theatercoups im Prolog von dieser Bruchstelle an nicht mehr erholt und kentert wie das Schiffchen, fortan eindimensional wirkt wie der recht aufgeräumt anreisende Felsbrocken. Im Unklaren verbleiben die Motive Adornos, Fiescos und auch Paolos. Tiefere Fragen, wie die nach Sinn und Inhalt vom Generationsvertrag, woran sich denn heutige Gesellschaft spaltet, was stürmische Massen aufzuhalten vermag oder inwieweit man der Ideologie des Werks nach den vergiftenden Führererfahrungen im zwanzigsten Jahrhundert eigentlich so noch folgen sollte, werden nicht gestellt.

Den gesanglichen Höchstanforderungen zeigt sich aufs Ganze gesehen der von Christian Schmidt fabelhaft kostümierte, von Florian Csizmadia wohl perfekt einstudierte Chor am Besten gewachsen, weshalb sich insbesondere die großen Tableaus zu außerordentlich verwobenen Klangskulpturen ausformen. Unverständlich warum das ff zwar dem Orchester so gerne nicht aber dem Chor voll vergönnt ist. Andere Theater wären ja froh, wenn sie die halbe Stärke finanzieren könnten. In Hamburg sperrt man ihn zweimal so hinter Türen, dass im Parkett nur holzige Luft ankommt. Auch das madrigaleske „Miserere!“ der männlichen Stimmen zu der Marienanrufung des Fiesco ist nicht zu hören, nur das „È morta!“ der Frauen.

Franz Grundheber schenkt sich und der Welt in seinem vierzigsten Jubiläumsjahr einen überaus fein gezeichneten und auch herzmitteilenden Boccanegra – ohne die ganz große Eindringlichkeit. Die Genueser diszipliniert eher die Erscheinung Grundhebers als seine seelenpackende Ansprache. Als Jacopo Fiesco agiert John Tomlinson zwar überaus stimmmächtig, aber oft wackelig in der Linie. In ihrem Hamburger Bühnendebüt fällt Angela Marambio als Amelia die plastische Ausgestaltung der Phrasen noch schwer, hingegen überzeugt sie in den Ensembles mit ihrer Strahlkraft. Miroslav Dvorsky als engagierter Gabriele Adorno bekommt vor allem in seiner freilich schwierigen Liebes- und Rachearie Probleme. Den Paolo legt Jan Buchwald sehr schön an, allein das abgründig Dunkle dieses Jagotypus muss seine junge Stimme noch schuldig bleiben.

Wie kleine Schaumwellen aus dem Meer vor Genua schwappen die hochromantischen Streicherakkorde leise und vorsichtig aus dem Graben. Wiegend und bestimmt kommen sie an Land und vergehen. Simone Young hält neben den schon erstklassigen Vor- und Zwischenspielen mit den Hamburger Philharmonikern einige Überraschungen bereit: aufsteigende Pizzikati, die wie ein Staunen über den Körper kommen, scharf umrissene Motive mit geistigen Innenleben und immer wieder aus der musikalischen Faktur heraus entwickelte plötzlich anziehende Tempi. Am Schluss legt sie unterdessen eine requiemgleiche Klangatmosphäre aus, die Guth als tatsächliches Wiedersehen zwischen Simon und Maria 1. im Off szenisch blasphemiert.

Nach dem Prolog denkt jeder, er sitze in der Inszenierung des Jahres. Am Schluss überwiegt indes die Freude über die Musik und den zwar von Verdi aus zu kritisierenden, aber doch erfüllenden Gesang. Heftige Beifallsstürme und Entladungen für die Sänger, insbesondere auch für Franz Grundheber. Schreie und Jubel für die im Abendkleid dirigierende Simone Young. (wh)


Fotos: © Klaus Lefebvre