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Konventionen vor Einheitskulisse
Puschkins Novelle Pique Dame hat es in sich: Als eines der ersten psychologischen
Sittengemälde beschreibt die Erzählung nüchtern das Schicksal eines Außenseiters
in der adeligen, russischen Offiziersgesellschaft. Diese Vorlage hat der
Bruder des Komponisten Modest Tschaikowsky auf den Kopf gestellt, um daraus
eine Oper zu machen. Und dabei verfuhr er nach dem Motto: Psychologie
kann sein, Romanze muss sein.
Daran ändert prinzipiell auch die Inszenierung von Willy Decker nichts.
Seine getreuliche Nacherzählung der Tschaikowsky-Adaption fand beim Hamburger
Publikum trotzdem (oder gerade deshalb) großen Zuspruch. Inmitten der
grauen Einheitskulisse von Wolfgang Gussmann - die er allerdings diesmal
als variable Raumteiler einrichtete - entwickelte Decker die Geschichte
vom Verlierertypen Hermann und seiner großen Liebe Lisa. Weshalb diese
junge Frau aus gutem Hause Hermanns Liebe so enthusiastisch erwiedert
bleibt allerdings das Geheimnis des Regisseurs.
Eine der wenigen Szenen, in der Lisas romantische Entscheidung für den
mittellosen Hermann und gegen den glänzenden Fürsten Jeletzky ansatzweise
erklärt wird - ein naives Schäferspiel spiegelt Lisas Entschluss - wurde
gestrichen. Dass es um Hermanns Innenleben geht, wird bereits durch das
erste Bild angedeutet: Hermann blickt mit der Waffe in der Hand auf ein
sein überlebensgroßes Konterfei.
Robert Brubaker brachte durch sein starkes Spiel die ganze Verletztheit
und Verlorenheit dieses in sich selbst gefangenen Menschen zum Ausdruck.
Das verrückte Verlangen nach Lisa zwingt den tendenziell autistischen
Hermann zum Kontakt mit seiner Umwelt, den er schmerzhaft als permanente
Herabwürdigung seiner Person empfindet. Geld zu haben, nicht mittellos
vor Lisa zu stehen, wird für ihn zur Zwangsvorstellung, die ihn auf schicksalhafte
Weise mit der alten Gräfin verbindet. Zu den stärksten Momenten der Inszenierung
gehören denn auch die Szenen, in denen Hermann und die Gräfin mit sich
selbst konfrontiert sind: Hermann erblickt sein eigenes Entsetzen, die
Gräfin die kalte Schönheit, die sie einmal war - nur die Kälte ist geblieben.
Die Massenszenen hingegen gerieten denkbar konventionell. Viel rauschender
Stoff, hopsende Mädchen, schneidige Offiziere. Immer wieder dazwischen
bedeutungsschwanger der Sensenmann und ein paar überdimensionale Spielkarten
- mit denen die Protagonisten sowieso die ganze Zeit beschäftigt waren,
ohne dass je wirklich die abgründige und fatale Atmosphäre des Glücksspiels
als einem Spiel um "Alles oder Nichts" aufkam.
Robert Brubaker verlieh seinem Hermann auch stimmlich Profil, obgleich
er auf heldentenorale Eskapaden weitestgehend verzichtete. Ihm zur Seite
stand Adrianne Pieczonka als Lisa: lyrisch, in allen Lagen durchsetzungsfähig,
variabel und mit wunderschönen Obertönen sowie einem großen Drang zur
Bühnenrampe. Als sichere Bank im Charakterfach - und nicht nur da - erwies
sich einmal mehr Julia Juon. Generalmusikdirektor Ingo Metzmacher unterstützte
mit seinem trockenen und unprätentiösen Dirigat vor allem die Sänger.
Auch in den großen emotionalen Momenten blieb die Musik zurückgenommen
und trat hinter das Geschehen auf der Bühne. Großer Applaus auch für ihn
und die Hamburger Philharmoniker.
Fazit: Eine durchaus sehens- und vor allem hörenswerte Produktion mit
einer guten Sängerbesetzung. Neues über die Pique Dame erfährt man allerdings
nicht. (sr) |
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